– Landesarbeitsgericht Niedersachen hebt Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig auf: Kündigung eines VW-Arbeiters wegen angeblicher „salafistischer Gefahr“ für unwirksam erklärt, VW zur Weiterbeschäftigung verurteilt

Nach lange dauernder mündlicher Verhandlung und gescheiterten Vergleichsgesprächen hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (LAG) am späten Nachmittag das Urteil verkündet und die Kündigungen vom November 2016 für unwirksam erklärt, mit denen die Volkswagen AG dem Kläger fristlos, hilfsweise fristgerecht gekündigt hatte.

Die Kündigungen waren darauf gestützt, dass VW den Verdacht habe, der Kläger wolle sich dem militanten „Dschihad“ anschließen; durch das Verhalten des Klägers sei der Betriebsfrieden und die Sicherheit im Unternehmen gefährdet. Der Kläger, von Geburt deutscher Staatsangehöriger, war seit dem 01.09.2008 bei VW als Montagewerker beschäftigt. Wegen einer von der Bundespolizei im Dezember 2014 unterbundenen Reise des Klägers nach Istanbul und der Entziehung seines Reisepasses kam es zunächst zu einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, auf dessen Urteil sich VW und das Arbeitsgericht Braunschweig bei ihrem Verdacht im Wesentlichen stützten. Inzwischen hat der Kläger einen neuen Reisepass ausgestellt bekommen.

Der Kläger hat stets betont, dass er gläubiger Moslem ist, aber nichts mit dem „Dschihad“ oder einer gewaltsamen Durchsetzung des Islam zu tun hat und die Bezeichnung als „Salafist“ zurückweist.

Das LAG hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Ansicht von VW und dem Arbeitsgericht zurückgewiesen:

„Der bloße Verdacht einer Zugehörigkeit zur militanten „Dschihadbewegung“ und der damit verbundene präventive Entzug des Reisepasses sind als Grund für eine Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres ausreichend. Nur bei einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses sind solche Umstände als Kündigungsgründe geeignet. Die Beklagte konnte eine solche konkrete Störung jedoch ebenso wenig aufzeigen, wie einen dringenden Verdacht, dass der Kläger den Frieden oder die Sicherheit im Betrieb stören könnte. Rein außerdienstliche Verhältnisse können die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses weder fristlos noch fristgerecht rechtfertigen.“ (PM v. 12.3.2018)

Die Entscheidung war notwendig geworden, nachdem die
Gegenseite einen Vergleichsvorschlag des Gerichts abgelehnt hatte, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher fristgemäßer Kündigung beendet werden und eine Abfindung gezahlt werden sollte, deren Höhe die Gegenseite jedoch kategorisch abgelehnte. Vorangegangen war eine Verhandlungstermin vor dem LAG, der jedoch wegen eines Befangenheitsantrages „geplatzt“ war, der wegen einer diskriminierenden Pressemitteilung und sitzungspolizeilichen Anordnung gestellt wurde.

Das ganze arbeitsgerichtliche Verfahren wurde begleitet von einer ungewöhnlichen Berichterstattung in den regionalen, zum Teil auch überregionalen Medien, in denen der Kläger ähnlich als „radikaler Salafist“ vorverurteilt und an den Pranger gestellt wurde. Auch die jetzige Verhandlung wurde begleitet von einer teilweisen diskriminierenden und vorverurteilenden Pressemitteilung, u.a. mit der Behauptung, dem Kläger gehe es nur um viel Geld.

Nach der überraschenden Abweisung der Kündigungsschutzklage durch das Arbeitsgericht liegt also jetzt mit der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ein positives Zwischenergebnis vor. Es bleibt abzuwarten, ob die Beklagte das Urteil mit einer Revision zum Bundesarbeitsgericht anfechten will, wo eine endgültige positive Klärung erkämpft werden könnte.

Wir hoffen, dass die Vorverurteilung in manchen Medien und Teilen der Öffentlichkeit jetzt endlich aufhört, so dass der Mandant Leben und Arbeit ungehindert fortsetzen kann.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass auch Fabrikarbeiter in großen Industriebetrieben in Deutschland Gefahr laufen, wegen eines bloßen, auf vage Indizien und Kontakte gestützten Verdachts, ein „dschiadistischer Salafist“ zu sein, entlassen zu werden – und der Versuch, sich dagegen mit rechtsstaatlichen Mitteln zu wehren, eine Vorverurteilung auslöst, die auch den institutionellen Rassismus weiter zu befeuern droht.

Rechtsanwälte Schultz & Grimm

Die Pressemitteilung vom 13.03.2018 als pdf.

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