Defizite bei den Menschenrechten – insbesondere den sozialen Menschenrechten – in reichen Ländern wie Deutschland

Einleitung
Es ist mir eine Ehre und besondere Freude, in diesem Jahr bereits zum 4 Mal für unsere Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation an einer Konferenz des internationalen Solidaritätsprojekts Jose Martí teilnehmen zu können – auch diesmal wieder mit meiner Frau Azize Tank, ehemalige Bundestagsabgeordnete (Partei die Linke und Mitglied im Bundestags-Ausschuss für Arbeit und Soziales)
In meinem heutigen Beitrag auf der V. Internationalen Konferenz für das Gleichgewicht der Welt will ich insbesondere zwei Themen behandeln, die auf diesem Weltforum debattiert werden sollen:
– Die Verwirklichung der grundlegenden Menschenrechte unter den aktuellen Bedingungen
des 21. Jahrhunderts,
– Die Rolle und die Herausforderungen der neuen sozialen Bewegungen vor dem
Hintergrund der zunehmenden sozialen Spaltung in Deutschland und global, insbesondere
in Hinblick auf das Menschenrecht auf angemessene Wohnung, lebenslange kostenlose
Bildung und optimale Gesundheitsversorgung für Alle

Kurz zu meiner Person
H. – Eberhard Schultz, Rechtsanwalt seit 1978; als „Menschenrechtsanwalt“ in Berlin tätig; Arbeit in progressiven Anwaltsvereinigungen; u.a. Mitglied im internationalen Verteidigerteam der „Cuban Five“; Teilnahme an der „Conferencia Internacional Con Todos y Para el Bien De Todos“ 2016, 2019 und 2023 in Havanna; Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte; Vorsitzender und Gründer der gemeinnützigen „Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation“ mit meiner Frau Azize Tank, MdB a.D.; Autor in verschiedenen Medien, zuletzt erschienen Bücher „Feindbild Islam und institutioneller Rassismus – Menschenrechtsarbeit in Zeiten von Migration und Anti-Terrorismus“ (Hamburg 2019) und 2023 „Das Problem ist Institutioneller Rassismus – Vielfalt statt Ausgrenzung (Hamburg 2023).

In Havanna ist noch zu erwähnen mein Sohn, Dr. Rainer Schultz: Er ist Center Director des Consortium for Advanced Studies Abroad/Cuba Divisional Center (CASA-Cuba) in Havanna in Kooperation mit dem Casa de las Américas.
Aus Alters- und Krankheitsgründen habe ich meine Anwaltstätigkeit weitgehend eingeschränkt und auf die Mitglieder unserer Rechtsanwalts-Bürogemeinschaft im Berliner Haus der Demokratie übertragen – ausgenommen ein großes Verfahren für eine palästinensische Studentin, auf das ich später eingehen werde.

1. Vorstellung unserer Stiftung für soziale Menschenrechte und der Internationalen Liga für Menschenrechte
Unsere junge, 2011 gegründete gemeinnützige Stiftung ist die einzige im deutschsprachigen Raum, die sich zum Ziel gesetzt hat, bei der Verwirklichung der sozialen Menschenrechte auf der Grundlage des UN-Sozialpakts von 1966 mitzuwirken. Deren umfassende Anerkennung und Umsetzung als subjektive Rechte, die notfalls vor den Gerichten und dem UN-Ausschuss einklagbar sind, ist nicht nur ein zwingendes Gebot des Völkerrechts. Gerade in Zeiten zunehmender sozialer Spaltung in einem der reichsten Länder der Welt, in dem Ausgrenzungen ganzer Bevölkerungsteile und rassistische Diskriminierungen auch durch Institutionen zunehmen und der Zunahme von Arbeits- und Wohnungslosigkeit, ist die Verwirklichung der sozialen Menschenrechte für alle von brennender Aktualität.
Schwerpunkte unserer bisherigen Arbeit sind die Öffentlichkeitsarbeit, auch in Kooperation mit anderen Menschenrechtsorganisationen, und Initiativen aus den sozialen Bewegungen, die Förderung von sozialen Projekten, Fachtagungen und -gesprächen mit Expert*innen aus
Wissenschaft, Politik und NGOs.
Über die Internationale Liga für Menschenrechte Die erstmals 1914 gegründete Organisation wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in West Berlin neu gegründet. Sie stellt sich die Aufgabe, die Menschenrechte – wie sie insbesondere in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, in den Internationalen Pakten vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte einerseits und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte andererseits, in der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 und anderen internationalen Konventionen niedergelegt sind – zu wahren, zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Die LIGA und ihre Mitglieder stehen auf dem Boden der demokratischen Grundordnung (im Sinne des Grundgesetzes) und bekämpfen jede Bestrebung zur Errichtung eines totalitären Regierungssystems.
Mit Grundgesetz wird in Deutschland die Verfassung bezeichnet. Darin sind eine Reihe von
Menschenrechten geregelt und deren Schutz auch mithilfe von Gerichten. So etwa der Schutz von Leben und Gesundheit, die Meinungsfreiheit und andere, also die so genannten
individuellen Menschenrechte. Die so genannten sozialen Menschenrechte aber fehlen –wie
etwa soziale Sicherheit für Alle, das auf optimale Gesundheitsversorgung für alle, das
Menschenrecht auf lebenslange kostenlose Bildung oder das Menschenrecht auf eine
angemessene Wohnung zu Erschwinglichen Preisen für Alle.
Mit Grundgesetz wird in Deutschland die Verfassung bezeichnet. Darin sind eine Reihe von
Menschenrechten geregelt und deren Schutz auch mithilfe von Gerichten. So etwa der Schutz von Leben und Gesundheit, die Meinungsfreiheit und andere, also die so genannten individuellen Menschenrechte. Die so genannten sozialen Menschenrechte aber fehlen – wie etwa soziale Sicherheit für Alle, das Recht auf optimale Gesundheitsversorgung für alle, das Menschenrecht auf lebenslange kostenlose Bildung oder das Menschenrecht auf eine angemessene Wohnung zu erschwinglichen Preisen für Alle. Dabei hatte schon im letzten Jahrzehnt die Partei DIE LINKE die Aufnahme der sozialen Menschenrechte in einem ausführlich begründeten Gesetzentwurf gefordert – allerdings vergeblich, und das ist kein Wunder, wie wir an den immer noch aktuellen Defiziten sehen…

2. Bestandsaufnahme wichtiger Faktoren für das „Gleichgewicht“
Beginnen möchte ich mit Schlaglichtern wichtiger sozioökonomischer Faktoren auf globaler und nationaler Ebene. Dazu ein Vorgang aus dem Jahre 2022, der bereits ein Schlaglicht wirft auf die weitere Entwicklung:
Ende 2022 erschien ein regierungsoffizielles Dokument von nahezu 300 Seiten mit dem Titel »15. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik. Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 bis 30. September 2022«. Es enthält auch ein 18-seitiges Kapitel zum Thema
»Bekämpfung von Rassismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit«. Darin wird unter anderem ausgeführt, dass Deutschland die UN-Konvention zur Beseitigung rassistischer  Diskriminierung (ICERD) ratifiziert hat und anwendet. Allerdings wird mit keinem Wort erwähnt, dass Deutschland von dem eigens auf der Grundlage dieser Konvention eingerichteten UN-Defizite bei den Menschenrechten – insbesondere den sozialen Menschenrechten – in reichen Ländern im Falle Sarrazin »verurteilt« wurde und weitere Verfahren gegen Deutschland anhängig sind.
Dieser Staatenbericht zur »Menschenrechtspolitik« wurde vom Auswärtigen Amt herausgegeben, außerdem von der Außenministerin Baerbock persönlich eingeleitet. Den krönenden Abschluss aber bilden die letzten 40 Seiten zum Thema »Menschenrechte weltweit«, das sind Berichte über knapp drei Dutzend Staaten. Darunter eine Auflistung mit mehr oder weniger gravierenden Menschenrechtsverletzungen: von Afghanistan über »China inklusive Hongkong« (mehrere Seiten), Russland, die Ukraine und Venezuela, bis zur Zentralafrikanischen Republik. Aber Brasilien beispielsweise wird nicht erwähnt: Dessen Rechtsanwaltskammer (eine der größten der Welt) hatte Bolsonaro, seinen Staatspräsidenten, zu dessen Amtszeit offen als »Faschisten« bezeichnet.
Ebenso wenig erwähnt der deutsche Staatenbericht die USA und Israel, geschweige denn deren Kriegsverbrechen oder die Charakterisierung Israels als völkerrechtswidrigen Apartheidsstaat. Das fand – nach zwei Jahren intensiver Untersuchung – sogar Amnesty International heraus und veröffentlichte es – auch wenn die deutsche Sektion sich zunächst geweigert hatte! „Deutschland, Weltmeister der Doppelmoral!“ hatte Evelyn Hecht-Galinski gesagt, die Tochter des jahrzehntelangen Leiters des jüdischen Zentralrats in Deutschland, dessen Familie von den Nationalsozialisten unter der Diktatur Hitlers verfolgt, in mehrere KZ‘s gebracht und schließlich ermordet wurde. Richtig:„Deutschland, Weltmeister der Doppelmoral!“
Seit der letzten Konferenz gab es positive und negative Entwicklungen. Beginnen wir mit den negativen. In einer Mitteilung unserer Stiftung vom 2. April 2024 heißt es:
„In einer Presseerklärung der Menschenrecht-Kommissarin des Europarats, Dunja, Mijatovic, vom 19.3.2024 äußert sich diese sehr kritisch zur Situation der sozialen Menschenrechte in Deutschland, dem reichsten Land Europas. (https://www.coe.int/de/web/portal/-/germany-follow-through-with-human-rights-commitments-and-improve-access-to-
social-rights)
Sie fordert „Empfehlungen zu den verfügbaren Strukturen und rechtlichen Rahmenbedingungen für den Schutz von  Menschenrechten und zum Zugang zu sozialen Rechten, insbesondere dem Schutz vor Armut …“
Ist diese dringende Aufforderung auch heute noch aktuell ? Ich fürchte: ja! Und möchte dies mit einer unverdächtigen aktuellen Quelle untermauern: In der bekannten Wochenzeitung Der Spiegel vom 17.12.2024 heißt: es: „Jeder vierte Deutsche kommt mit Haushaltseinkommen nicht mehr zurecht.“
Zugrunde liegt der „Verteilungsreport 2024“ des Arbeitgeber nahen Instituts der Deutschen
Wirtschaft Die Menschen gaben an, dass ihr Einkommen relativ schlecht, schlecht oder sehr
schlecht ausreiche.
Wenn das von einem Institut der Wirtschaft – um nicht zu sagen der Wirtschaftsbosse – offiziell mitgeteilt wird, stellen sich viele kritische Nachfragen, zum Beispiel: Wie konnte es dazu im reichsten Land Westeuropas kommen? Oder: Wie kann sich Deutschland angesichts dieser katastrophalen Einkommensentwicklung leisten, 100 Milliarden und mehr Euro für die Aufrüstung und den Krieg in der Ukraine auszugeben? Schwierige Fragen, auf die es keine einfachen Antworten geben dürfte. Aber bleiben wir bei der Fragestellung im Rahmen des vorgegebenen Themas. Also beginne ich mit der Entwicklung seit meinem Beitrag zur letzten Marti-Konferenz 2023.

2.1. Zunehmende soziale Spaltung und wachsende Armut auch in Deutschland
Die Verteilung des Reichtums auf unserer Erde hat sich weiter dramatisch entwickelt:
In meinem Vorschlag für eine Erklärung zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2024 habe ich Bezug genommen auf die Erklärung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, in der es unter anderem heißt:
„Die Welt steht vor nie dagewesenen und ineinander greifenden
Herausforderungen für die Menschenrechte… In diesen schwierigen
Zeiten müssen wir uns mit neuer Entschlossenheit für alle Menschenrechte – die bürgerlichen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rechte – einsetzen… Bekräftigen wir am heutigen Tag der Menschenrechte erneut die Allgemeingültigkeit und
Unteilbarkeit aller Rechte und verteidigen wir die Menschenrechte für alle.“

2.2. Der Internationale Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2024 – für Deutschland kein Grund zum Feiern
Als Internationale Liga für Menschenrechte und als Stiftung für soziale Menschenrechte halten wir den 10. Dezember nicht nur für ein bedeutendes historisches Ereignis, sondern sehen uns auch in der Verantwortung für die weitere Entwicklung der UN Charta von 10. Dezember 1948, mit der ja die Schrecken und Folgen des Zweiten Weltkriegs für immer überwunden werden sollten. Ganz im Sinne der erwähnten Aufforderung des UN Generalsekretärs:
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„Human rights are under assault […] This year’s theme reminds us that human rights are about building the future — right now […] We must stand up for all rights — always.“
(UN Secretary-General António Guterres’s message, 2024)
In diesem Sinne wollen wir aufstehen für alle Menschenrechte, die individuellen und die
sozialen Menschenrechte, die wir in Folge der gegenwärtigen Krisen und Kriege sehr bedroht sehen. Besonders bedroht sind das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die
Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und das Recht auf Asyl.
Bereits im November 2023 hat der UN-Ausschuss zur Beseitigung
rassistischer Diskriminierung (ICERD) zum aktuellen Staatenbericht der Bundesregierung in Genf seine Besorgnis „dass friedliche Demonstrationen […] verboten werden” geäußert und festgestellt,   dass eine „abschreckende Wirkung […] in Bezug auf die Ausübung des Rechts auf freie  Meinungsäußerung in Bezug auf die derzeitige Situation in Palästina” herrscht. Hierauf werde ich noch zurückkommen.
Und beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag fand das Verfahren gegen Deutschland wegen der Unterstützung der Kriegsverbrechen von Israel statt, eine erste ausführlich begründete Stellungnahme hat Israel wegen Kriegsverbrechen verurteilt – und Nicaragua hat Deutschland ebenfalls auf die »Anklagebank« gesetzt.

3. Zum Staatenbericht der Bundesregierung, insbesondere zum sozialen Menschenrecht auf Wohnen und Anmerkungen zum sozialen Menschenrecht auf optimale Gesundheitsversorgung und kulturelle Teilhabe
3.1 Zum sozialen Menschenrecht auf angemessene Wohnung zu erschwinglichen Preisen

Auch hier möchte ich mit einer hochaktuellen Meldung beginnen, die uns kurz vor der
Weihnachtszeit erreichte. Ich zitiere aus der Sendung „Tagesthemen“ der öffentlich-rechtlichen Medien vom 13.12.2024: Steigende Mieten – Mehr Menschen wegen hoher Wohnkosten in Armut (Stand: 13.12.2024 09:30 Uhr)
Hohe Mieten und Nebenkosten treiben mehr Menschen in Deutschland in die
Armut als gedacht, lautet das Ergebnis einer Studie. Demnach werden  Wohnkosten für den tatsächlichen Lebensstandard immer bedeutsamer. Viele Haushalte geben demnach mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Wohnkosten aus, manche sogar mehr als die Hälfte.
Nach Abzug von Miete, Nebenkosten, Kreditzinsen und anderem hätten mehr als 17,5 Millionen oder 21,1 Prozent der Bevölkerung ein verfügbares Einkommen im Armutsbereich, so die Forschungsstelle des Paritätischen Gesamtverbands unter Verweis auf eine Auswertung von Daten des Statistischen Bundesamts.
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Initiativen haben seit Jahren versucht, Abhilfe zu schaffen, denn schon lange gibt es das
Tauziehen über die Fragen der richtigen politischen Behandlung von Obdachlosigkeit und
Wohnungslosigkeit in Berlin, also in der größten und reichsten Stadt Deutschlands, die wegen ihrer exemplarischen Bedeutung in diesem Zusammenhang erwähnt werden muss.
Weit mehr als die Hälfte der Befragten Berlinerinnen (65%!) entschieden sich für die Enteignung  großer Wohnungsunternehmen, unter dem Motto „ Deutsche Wohnen und Co enteignen!“ (das Unternehmen „Deutsche Wohnen“ ist eines der größten und einflussreichsten auf dem Gebiet in Berlin). Auch wir von der Stiftung haben diese Initiative unterstützt. Wohnungsunternehmen und politische Parteien versuchten, die Umsetzung des Volksentscheids zu verhindern. Es musste eine Expertenkommission gebildet werden, die 2 Jahre lang tagte und schließlich – auch unter Mitwirkung unseres Experten und Kuratoriumsmitglieds unserer Stiftung Dr. Andrej Holm – zu dem Ergebnis kam, das eigentlich selbstverständlich hätte sein müssen: Eine Enteignung gegen entsprechende Entschädigung ist zulässig. Wir warten leider immer noch auf die Umsetzung dieses klaren Ergebnisses. Bisher ist kein einziges der großen
Wohnungsunternehmen enteignet worden. (aus der Stellungnahme von Dr. Andrej
Holm zum Ergebnis der Expertenkommission zur Vergesellschaftung großer
Wohnkonzerne, 23. Juli 2023)
Wie bereits auf unseren Beiträgen auf den letzten Konferenzen 2019 und 2023 ausgeführt, heißt es zu den Defiziten des sozialen Menschenrechts auf Wohnen in unserem Parallelbericht zum Staatenbericht der Bundesregierung an den UN-Sozialausschuss:
„Wohnungslosigkeit ist ein bundesweites und insbesondere in den
Großstädten ein schwerwiegendes Problem, welches neuerdings auch
eine steigende Zahl von Geflüchteten, Wanderarbeiter*innen aus
osteuropäischen Ländern sowie andere Menschen ohne gesicherten
Status betrifft. Momentan betont die Bundesregierung, es sei die
alleinige Zuständigkeit der Kommunen, Probleme der Wohnungslosigkeit
zu lösen.“6
Es werden nicht nur zu wenig neue Sozialwohnungen gebaut, sondern öffentliche
Wohnungsbaugesellschaften werden privatisiert, und staatliche Förderungen sind an zeitlich
befristete Bindungen geknüpft, welche irgendwann auslaufen. Dieses Vorgehen befördert den drastischen Rückgang der Zahl an Sozialwohnungen durch Umwandlung in teure Eigentums- oder Mietwohnungen. So wird es immer dringender, jedem Menschen ein einklagbares Recht auf angemessenen Wohnraum zu verschaffen.
Umso erfreulicher war es für uns, wie für die anderen engagierten NGOs, dass der UN-
Sozialausschuss in seinen abschließenden Bemerkungen die Kritik aufgenommen hat. Die
Bundesregierung wird aufgefordert, einen dringlichen Zwischenbericht zu den drei Themen
Situation älterer Menschen in der Pflege, Kinderarmut und Recht auf Wohnen innerhalb von 24 Monaten vorzulegen.
Inzwischen liegt diese geforderte Stellungnahme an den UN-Sozialausschuss tatsächlich vor – allerdings nur in englischer Sprache und für den / die deutschen Durchschnittsbürger:in kaum auffindbar. Darin wird zwar in allgemeiner Form ausgeführt, man werde die Auflagen umsetzen und sei bereits dabei. Zum „Housing Problem“ gibt es ausführlichere Darlegungen, die eine Besserung versprechen. Tatsächlich sind diese jedoch nach Expertenmeinung nicht realisiert worden.
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Bezeichnend ist auch, dass eine der zentralen Forderungen für die Umsetzung des Sozialen
Menschenrechts auf Wohnung und die Kontrollierbarkeit der Maßnahmen nach einer belastbaren, detaillierten Statistik nicht einmal erwähnt wird. Deshalb haben wir Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Versprechens der Bundesregierung.

3.2 Auswirkungen der zunehmenden sozialen Spaltung auch auf wachsende Kinderarmut und kulturelle Teilhabe
Auch in der Bekämpfung der Kinderarmut, einer elementaren Forderung der VN-
Kinderrechtskonvention, gibt es spürbare Defizite. Nicht nur die materielle Sicherung ist
mangelhaft, auch die persönliche Entwicklung aller Kinder, unabhängig vom sozialen Status der Familien bzw der Erziehungsberechtigten, wird staalicherseits nicht ausreichend gefördert. Ein ganz großes Defizit besteht auch in der Verwirklichung des Rechts auf Bildung, was bereits äußerlich an dem schlechten Zustand von Schulgebäuden und deren Ausstattung sichtbar ist.
Weiterhin fehlen Lehrkräfte, so dass Unterricht ausfällt. Reiche Eltern schicken ihre Kinder in konfessionelle oder andere nicht-staatliche Schulen. Die Schließung von öffentlichen Sportstätten schränkt die sportliche Betätigung von Kindern und Erwachsenen ein. Auch kostenlose kulturelle Angebote für alle fallen zunehmend weg – während die Kosten für die Rüstung steigen.

3.3 Anmerkungen zum sozialen Menschenrecht auf optimale Gesundheitsversorgung für Alle
Zur besonderen Bedeutung dieses grundlegenden Menschenrechts brauche ich wohl im Lande unsere Gastgeber und der vielen Beteiligten aus Lateinamerika keine großen Ausführungen zu machen. Und auch die großen historischen Verdienste, die sich das sozialistische Kuba erworben hat, als es sich in Südafrika und Lateinamerika dafür vorbildlich eingesetzt hat, sind sicher allen Beteiligten bekannt. Weniger bekannt sein aber dürften die schwerwiegenden Defizite sein, die gerade in reichen Ländern wie Deutschland auf diesem Gebiet existieren. Es ist hier nicht der Raum, eine umfassende Würdigung vorzunehmen. Aber lassen Sie mich kurz ein aktuelles Schlaglicht dazu anführen. Kurz vor meiner Abreise erreichte mich der 24 seitige Gesundheitsreport der renommierten auch international tätigen Organisation Ärzte der Welt, mit  der wir seit vielen Jahren eng kooperieren. In dem Anschreiben heißt es unter anderem:
„Kaum zu glauben, doch wahr: in Deutschland leben Menschen ohne Krankenversicherung, also ohne Anspruch auf eine ärztliche Behandlung – auch wenn diese dringend geboten ist; wie viele Menschen davon betroffen sind kann mangels systematische Erhebungen nur erahnt werden… Einen Schwerpunkt legen wir dieses Mal auf die Obdachlosigkeit. Viele unserer Patientinnen leben auf der Straße und sind somit besonderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Wir zeigen, warum diese Menschen oft keinen Zugang zu gesundheitlicher
Versorgung haben und was zu deren medizinischer Behandlung nötig ist.“
Und in der Broschüre selbst heißt es unter der Überschrift „Fazit und Ausblick“:
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„Es gibt in Deutschland nach wie vor eine signifikante Anzahl von Personen, die zeitweise oder dauerhaft keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.“ Was sollen wir dazu sagen? Kommentar überflüssig: Zu den sozialen Bewegungen, den Aktivitäten von Widerstand und Protest in Deutschland beziehe ich mich zunächst auf meinen Beitrag auf der letzten Konferenz. Leider ist die Entwicklung durch die Folgen der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie und im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine noch einmal undurchsichtiger und schwieriger geworden, so dass Wohnraum für den ärmeren Teil der Bevölkerung in Ballungsgebieten Berlin überhaupt nicht mehr zu finanzieren ist.
……………………………………..
ZUM ABSCHLUSS
Ich hatte ja eingangs angekündigt, noch kurz auf die Verfahren einzugehen, die ich für eine
palästinensische Studentin gegen große Leitmedien in Deutschland geführt habe und noch
weiterführe, weil die Gerichte bisher geurteilt haben: Auch wenn es verleumderische und
vollkommen unzutreffende Behauptungen sind, eine terroristische Organisationen zu unterstützen, unterliege das der sogenannten Meinungsäußerungsfreiheit. So dürfen die Grundrechte der Betroffenen wie etwa die Würde des Menschen, seine Persönlichkeitsrechte, die Gesundheit usw. von den Medien angegriffen werden, weil deren Freiheit höher wiegt. Dazu haben wir einen Aufruf verfasst und um Unterstützung gebeten für die weiteren Schritte bis hin zu den Menschenrechtsbeschwerden, insbesondere auch an den UN-Ausschuss für Hilfen zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung. Da die Zeit jetzt nicht mehr reicht, erlaube ich mir an dieser Stelle, den Aufruf, den ich hier hochhalte, an die Beteiligten im Saal zu verteilen und bitte die Veranstalter, ihn auch weiterzuleiten. Vielen Dank.

Das gilt auch für die Erklärung der Internationalen Liga für Menschenrechte, mit der wir das
völkerrechtswidrige US Embargo gegen das sozialistische Kuba verurteilen. Und die schwere Verletzung der darin zum Ausdruck kommenden Menschenrechte klagen wir öffentlich an.
Es soll hier nicht versucht werden den Stand der Umsetzung der sozialen Menschenrechte in
unserem Gastgeberland Kuba zu würdigen. Die mir zur Verfügung stehende Zeit ist zu knapp, vor allem aber reichen meine Einblicke und Unterlagen dafür nicht aus. Trotzdem muss ich einen Hinweis geben: den Hinweis auf einen wesentlichen Faktor bei der Beurteilung der Situation in Kuba: die Auswirkungen des völkerrechtswidrigen US Embargos. Dazu haben wir nämlich von der Internationalen Liga für Menschenrechte aus Anlass des letzten Beschlusses der UN- Generalversammlung am 1. November 2023 eine Pressemitteilung verbreitet. Darin heißt es unter der Überschrift:
Den Beschluss der UN-Generalversammlung zur Verurteilung der US
Blockade gegen Kuba wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen umsetzen
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Die gestrige Verurteilung der US-Blockade gegen Kuba durch die UN.
Generalversammlung – nur Israel war wie immer dagegen – veranlasst
uns zu folgender Stellungnahme.

Die verheerenden Auswirkungen der Blockade für alle Kubanerinnen und Kubaner ist in den mehr als 100 Seiten umfassenden Texten umfangreich dokumentiert und unbestreitbar.
Zu den satzungsgemäßen Aufgaben der Internationale Liga für Menschenrechte gehört der Einsatz für die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen sowie der schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (Art. 22-27)
niedergelegten sozialen und kulturelle Rechte, die 1966 durch den Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte konkretisiert und international verbindlich geregelt worden sind. …
Wir nehmen die Aktivitäten der Friedensbewegung und der Kuba-
Solidarität … zum Anlass ( der Aufforderung) an die Bundesregierung,
ihren Bericht zum Internationalen Tag der Menschenrechte im
kommenden Monat diesen Jahres mit einer detaillierten Verurteilung der
USA und Israels zu verbinden.
Besonders offensichtlich sind gegenwärtig die Auswirkungen der
völkerrechtswidrigen Blockade auf dem Gebiet der
Gesundheitsversorgung, was Amnesty International bereits vor Jahren
kritisiert hatte. Aufgrund des Embargos sind wichtige Medikamente und
medizinisches Gerät kaum noch verfügbar. Das ist eine schwere durch
nichts zu rechtfertigende Verletzung des sozialen Menschenrechts auf
optimale Gesundheitsversorgung für alle im Sinne der WHO.

Dazu Eberhard Schultz, langjähriges Vorstandsmitglied und Menschen-Rechtsanwalt:
„Wir werden alles in unserer Kraft Stehende tun, Vereinigungen,
Initiativen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, denen die
Menschenrechte am Herzen liegen, dafür zu gewinnen, Druck auf die
Bundesregierung auszuüben, damit zum Internationalen Tag der
Menschenrechte im kommenden Monat diesmal die deutsche
Außenministerin die USA und Israel schärfstens kritisiert und
Gegenmaßnahmen ankündigt.“.
(https://ilmr.de/2024/den-beschluss-der-un-generalversammlung-zur-verurteilung-der-
us-blockade-gegen-kuba-umsetzen/)
Wie zu befürchten war, verhallte dieser eindringlicher Appell ungehört in den Chefetagen der Institutionen so wie der Mainstream-Medien. Ja mehr noch: Die Vorgänge um den internationalen Tag der Menschenrechte am 14. November in der Bundesrepublik Deutschland sind ein weiterer erschreckender Schritt auf dem Weg in einen Ausnahmezustand, wie ihn Professor Giorgio Agamben, der Theoretiker des Ausnahmezustands, prognostiziert hatte, und zwar als Folge der undemokratischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona- Pandemie.
Noch am Vortag des Tages der Menschenrechte hatte UN-Generalsekretär Guterres eindringlich an die Weltgemeinschaft appelliert:
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„Human rights are under assault […] This year’s theme reminds us that
human rights are about building the future — right now […] We must stand
up for all rights — always.“ (UN Secretary-General António Guterres’s message, 2024)

Vergleichbare Aufrufe oder Stellungnahmen von maßgeblichen politischen Institutionen sucht man in Deutschland vergeblich. Stattdessen findet sich auf der Homepage des Bundestages lediglich ein Hinweis von Anfang 2024 : “abgesetzt … Menschenrechtsbericht der Bundesregierung“.
Zwar hat sich der sogenannte „Berliner Sozialgipfel“ am 9. Dezember 2024 insbesondere mit der prekären Situation von Wohnungslosen und Obdachlosen beschäftigt. Im Bericht des Vertreters unserer Stiftung über die Veranstaltung heißt es, der zuständige Berliner Senator sei leise ausgepfiffen und dann in der anschließenden Diskussion „in die Ecke getrieben“ worden. „Ändern wird sich nichts, auch das Medien-Echo war gering… aber immerhin hat sich mal wieder die haute volé der Berliner Mietaktivisten dort getroffen und auch die Klappe aufgerissen…“
Wir resümieren also: Es bleibt viel zu tun! Wir appellieren vor allem an die Betroffenen und ihre Vertreterinnen: Packen wir es an! dann können wir auch mit der wichtigen internationalen Unterstützung und Solidarität rechnen, die für unsere Arbeit unverzichtbar ist.
Ich danke den Verantwortlichen dieser wichtigen internationalen Konferenz, der UNESCO für ihre Unterstützung und den zahlreichen Engagierten, die uns auch bei der Ausarbeitung des Beitrages, der Übersetzung und Präsentation helfen

Herzlich und solidarisch
Havanna, den 24. Januar 2025

Eberhard Schultz, Menschenrechtsanwalt, Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für
Menschenrechte und Vorsitzender der Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und
Partizipation
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Eingeschränkte Anwaltstätigkeit

Inzwischen bald fünf Jahrzehnte als Menschenrechtsanwalt in Deutschland und auch international tätig, bin ich, Jahrgang 1943, aus Alters- und Gesundheitsgründen leider gezwungen, meine Anwaltstätigkeit einzuschränken. Aufgrund der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit kann ich grundsätzlich keine neuen Mandate mehr annehmen,  werde aber noch einige größere Verfahren zu Ende führen (insbesondere für die palästinensische Studentin Reem Sahwil, s. aktueller Aufruf zur weiteren Unterstützung des Kampfes der palästinensischen Studentin Reem Sahwil für die Einhaltung ihrer Menschenrechte). Ansonsten würde ich Mandatsanfragen an die KollegInnen aus meiner Bürogemeinschaft und andere, mit denen ich zusammenarbeite, weiterleiten – vorausgesetzt es ist klar, um welches Rechtsgebiet es sich handelt. Der jüngere Kollege Rechtsanwalt Tobias Krenzel ist bereit und in der Lage Verfahren zu übernehmen – und wie sich bereits in den letzten Jahren gezeigt hat, sehr engagiert und erfolgreich.

So kann ich die verbliebene Energie auf meine ehrenamtlichen Tätigkeiten als Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, als Gründer und Vorstandsmitglied der „Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation“, in der Friedensbewegung und als Autor (vgl. meine Falldokumentationen von zwei Jahrzehnten Anwaltstätigkeit „Feindbild Islam und Institutioneller Rassismus – Menschenrechtsarbeit in Zeiten von Migration und Anti-Terrorismus“ und das im letzten Jahr erschienene und von mir mit herausgegebene Buch „Das Problem heißt Institutioneller Rassismus – Vielfalt statt Ausgrenzung“) konzentrieren – und natürlich auf meine Familie, mit der ich in unserem Alters- und Ruhesitz in Berlin Köpenick und an anderen lieb gewonnen Orten schöne Zeiten verbringe, so am Mittelmeer, in Kuba und vielen Orten, die wir noch kennenlernen wollen, vom Mittleren Osten über die Karibik bis in den Fernen Osten…

Aufruf zur weiteren Unterstützung des Kampfes der palästinensischen Studentin Reem Sahwil aus Rostock für die Einhaltung ihrer Menschenrechte

Wir wenden uns mit diesem Aufruf erneut an die interessierte Öffentlichkeit, damit unser Kampf auf neuer Ebene die notwendige Unterstützung auch finanziell erfährt. Wir haben mit Reem und ihrer Familie besprochen, weiter für die Durchsetzung ihrer Persönlichkeitsrechte zu kämpfen und ihre Ansprüche auf Widerruf, Schadensersatz und Schmerzensgeld vor den zuständigen Zivilgerichten zu verfolgen. Wie es dazu gekommen ist, hier in Stichworten:

Die 21- jährige Reem Sawihl, die mit ihrer Familie im letzten Jahrzehnt aus dem Libanon nach Deutschland gekommen war, wehrt sich weiter dagegen zum Opfer einer Medienkampagne und staatlicher Repressionsmaßnahmen zu werden.

Reem wird vorgeworfen, sie habe mit dem Posten des Mottos „From the river to the sea, Palestine will be free” die „terroristische Hamas“ unterstützt. So erschienen ab November Medienberichterstattungen bei der BILD in großer Aufmachung unter der Überschrift „Merkels Flüchtlingsmädchen Reem hetzt gegen Israel“, ähnlich auch B.Z. und Focus. Laut Medienberichten will der ehemalige Landtagsvorsitzende der CDU und Bundestagsabgeordnete Rehberg Reem sogar die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen lassen, obwohl dies rechtlich unmöglich sein dürfte.

Auffällig ist zunächst: Bei dem Posten handelte es sich um auf einen privaten Instagram-Profil hochgeladenen Inhalt von Reem, der von maximal 15 Freund:innen aus ihrer Schule einsehbar war. Als Reem von den Vorwürfen der Medien erfuhr, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch und musste vom Notarzt behandelt werden.

Aber unabhängig davon sind die schwerwiegenden Vorwürfe vollkommen haltlos, weil Reem sich seit vielen Jahren für die Rechte aller Menschen unabhängig von Religion oder Herkunft einsetzt. Dies wurde von ihr und mehreren Zeug:innen anhand von konkreten Beispielen nachgewiesen und an Eides statt versichert.

Bereits im November 2023 hat der UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (ICERD) zum aktuellen Staatenbericht der Bundesregierung in Genf ihre Besorgnis „dass friedliche Demonstrationen […] verboten werden” geäußert und festgestellt, dass eine „abschreckende Wirkung […] in Bezug auf die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf die derzeitige Situation in Palästina” herrscht. Und beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag findet in diesem Monat das Verfahren gegen Deutschland wegen der Unterstützung der Kriegsverbrechen von Israel statt.

Als Anwälte von Reem haben wir bisher vergeblich versucht die Medien zur Unterlassung und zum Widerruf ihrer verleumderischen Behauptungen zu verpflichten. Die Medienkammer des Landgerichts und das Berliner Kammergericht haben unsere Eilanträge gegen die Medien bedauerlicherweise zurückgewiesen:

Es läge keine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor, weil bei der erforderlichen Abwägung die Meinungsäußerungsfreiheit der Medien nach schwerer wiege.

Immerhin räumt das Kammergericht in seiner ablehnenden Entscheidung im Eilverfahren ein: „Dabei nimmt der Senat ernst, dass die Antragsstellerin, wie sie glaubhaft macht, eine Panikattacke und einen Nervenzusammenbruch erlitten hat, nachdem sie von den Meinungsäußerungen der Antragsgegnerin erfuhr“.

Wir halten dies für eine inakzeptable Verletzung ihre Persönlichkeitsrechte, insbesondere weil auch die Verleumdung, sie sei eine antisemitische Terrorismusunterstützerin und „Israelhasserin“ in der gegenwärtigen öffentlichen Debatte in Deutschland schwerer wiegt als jemandem vorzuwerfen, er unterstütze eine verbotene rechtsextremistische oder faschistische Organisation. Ein Vorwurf, der nach Rechtsprechung und Literatur nur erhoben werden darf, wenn jemand tatsächlich die NPD oder eine andere faschistische Organisation unterstützt hat. Hierzu können wir uns auch auf die gutachterliche Stellungnahme des Experten Prof. em. Dr. Hajo Funke (Freie Universität Berlin) stützen, der den von Reem veröffentlichten Inhalt im Sinne der friedlichen Lösung des Konflikts auslegt.

Im darliegenden Fall kommt es daher nicht darauf an, ob das von unserer Mandantin gepostete Motto auf Veranstaltungen und Demonstrationen genutzt wird, was gerichtlich unterschiedlich entschieden wurde. So hatte das Verwaltungsgericht Berlin kurz vorher entschieden, diese Parole kann auch als Aufruf zur völkerrechtlich verbindlichen Zwei-Staatenlösung verstanden werden und der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat erst im März 2024 Demo-Auflagen kassiert, weil das Motto nicht per se strafbar sei und „die Befreiung Palästinas auch friedlich möglich“ sei.

Für diesen schwierigen Kampf bitten wir um öffentliche Unterstützung und auch finanzielle Hilfe für die im Eilverfahren angefallenen Kosten sowie unsere weitere Mobilisierung der Öffentlichkeit auf das Anderkonto von Rechtsanwalt Schultz.
(Konto IBAN: DE69 1005 0000 0399 1919 33 mit Stichwort „Reem Sahwil“)

Berlin, den 26.09.2024

H.-Eberhard Schultz                                          Ahmed Abed
Rechtsanwalt                                                     Rechtsanwalt

Pressemitteilung – Die Familie, der im Landgericht Dresden ermordeten Ägypterin Marwa El-Sherbini, mahnt auch nach 15 Jahren einen mehr als symbolischen „Tag gegen Antimuslimischen Rassismus“ an

Pressemitteilung

Die Familie, der im Landgericht Dresden ermordeten Ägypterin Marwa El-Sherbini, mahnt auch nach 15 Jahren einen mehr als symbolischen „Tag gegen Antimuslimischen Rassismus“ an

Mein Beitrag als Rechtsanwalt der Familie

Wie in den letzten Jahren seit der Ermordung der Ägypterin Marwa El-Sherbini vor 15 Jahren, sollte und wollte ich auch in diesem Jahr auf der offiziellen Gedenkveranstaltung des Justizministeriums vormittags und der Veranstaltung des Ausländerrats nachmittags sprechen. Dazu hatte mir der Bruder von Marwa einen Beitrag übermittelt, in dem es heißt:

„Wir freuen uns, dass inzwischen wenigstens der Park vor dem Landgericht im letzten Jahr endlich nach unserer in dem Gericht ermordeten Marwa benannt worden ist. Wir hätten uns auch gerne persönlich vor Ort bedankt, haben aber in diesem Jahr zum ersten Mal leider keine persönliche Einladung erhalten. Aber vielleicht lässt sich das ja nachholen – jedenfalls ist das Gedenken an Marwa nicht nur in unserem Familien – und Freundeskreis nach wie vor sehr lebendig, sondern in der gesamten Umgebung. Wird das Gedenken an Marwa doch durch jede Meldung über die erschütternden Todesfälle in Gaza aktualisiert“

Leider kam die Einladung des Justizministeriums erst am 17.06.24 und der Wunsch der Familie, dass ihr Rechtsanwalt dort wieder sprechen kann, wurde abgelehnt. Alle Bemühungen, um das zu ändern, schlugen fehl. Auch der Ausländerrat der Stadt Dresden hat
sich erst nach dem Austausch zahlreicher Informationen bereit erklärt, mich auf der Veranstaltung des Ausländerrats mit einem kurzen Beitrag zu Worte kommen zu lassen zum Tag gegen Antimuslimischen Rassismus.

Bisher spricht also alles dafür, dass man höheren Ortes die Stimme der unmittelbar Betroffe-nen nicht hören will. Das wäre eine neue Stufe, in dem mehr als traurigen Kapitel eines institutionellen Rassismus, wie wir ihn in unserem neu erschienen Buch „Das Problem heißt institutioneller Rassismus – Vielfalt statt Ausgrenzung“ mit Expert:innen und Betroffenen und ihren Organisationen kritisiert haben.

Bleibt nur noch die Hoffnung, dass ich mich irre. Ansonsten bleibt es bei der fundamentalen Kritik an der Behandlung des Gedenktages von Marwa El-Sherbini, ausgerechnet am Tag gegen Antimuslimischen Rassismus, wie wir sie in den letzten Jahren formuliert haben (https://www.menschenrechtsanwalt.de/2022/07/redebeitrag-auf-der-gedenkveranstaltung-fuer-marwa-el-sherbiny-am-01-07-2022/):

„Ich glaube, wir können uns nur schwer in die Situation der Familie versetzen, die nach alledem, statt eine Wiedergutmachung zu erhalten, die diesen Namen verdient, derartige Alpträume durchmachen muss!?“


Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung, auch unter der Mobiltelefonnummer 0172 4203768

Dresden, 01.07.24
H. Eberhard Schultz, Rechtsanwalt


Evelyn Hecht–Galinski, Gründerin der deutschen Abteilung der Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ und Tochter des ehemaligen Vorsitzenden des „Zentralrats der Juden in Deutschland“ (1942-1992), kommentiert:

„Als Deutsche mit jüdischen Wurzeln bin ich entsetzt über die aktuelle Entwicklung und kann nur hoffen, dass der rassistische Mord an der Ägypterin Marwa Sherbiny und seine skandalösen Begleiterscheinungen nicht in Vergessenheit geraten. Muss es erst wieder zu Massenprotesten im Ausland kommen, bevor die Mitschuld der Institutionen in Deutschland am Zustandekommen derartiger rassistischer Verbrechen, ihre fehlenden Aufarbeitung anerkannt sowie eine Entschädigung geleistet wird, die diesen Namen verdient. Was erleben wir gerade anstelle einer wirksamen Bekämpfung des Antimuslimischen Rassismus? Ich bin entsetzt darüber, dass jetzt sogar mit einem neuen Gesetz in Deutschland das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zur Voraussetzung der Einbürgerung gemacht werden soll. Wir müssen aufpassen, dass hier nicht auf diesem Umweg der antimuslimische Rassismus zusammen mit Israel zur deutschen Staatsraison gemacht wird!“


Horsta Krum (Berlin), Theologin mit dem Schwerpunkt: Friedensarbeit, kommentiert:

„Der Park trägt jetzt den Namen der ermordeten Marwa. Offenbar meinten die politisch Verantwortlichen, dass sie am „Tag gegen anti-muslimischen Rassismus“ mit dieser Namensgebung ihre Pflicht erfüllt hätten. Die bloße Anwesenheit der Familie und des Rechtsanwaltes, der in der Vergangenheit bei dieser Gelegenheit sprechen konnte, sei nun mehr als genug. Auch der Ausländerrat, der eine Veranstaltung am Nachmittag desselben Tages durchführt, äußerte sich zunächst in diesem Sinne mit der fadenscheinigen Begründung: Es sei keine Zeit – bis er schließlich dem Rechtsanwalt drei Minuten Redezeit einräumte.

Die verbale und tätliche Gewalt an Menschen mit ausländischer Herkunft, besonders an Muslimen, wird heruntergespielt und möglichst verschwiegen. Die Proteste gegen die Verbrechen der israelischen Armee werden kriminalisiert und tragen schnell den Stempel „Antisemitismus“.

Der Umgang mit diesen Protesten und der Vorfall in Dresden sind nur zwei Beispiele dafür,was mit dem Begriff „öffentlicher Frieden“ gemeint ist (gemeint sein könnte), wie er seit Ende letzten Jahres im Strafgesetzbuch steht. Er ebnet den Weg hin zu einem autoritären Staat mit kontrollierten öffentlichen Äußerungen, kontrollierten Versammlungen und Demonstrationen.“

Aufruf zur Unterstützung des Kampfes der Palästinenserin Reem Sahwil aus Rostock für die Einhaltung ihrer Menschenrechte

Die 21- jährige Reem Sawihl, die mit ihrer Familie im letzten Jahrzehnt aus dem Libanon nach Deutschland gekommen war, droht zum Opfer einer Medienkampagne und staatlicher Repressionsmaßnahmen zu werden.

Reem wird vorgeworfen, sie habe mit dem Posten des Mottos „From the river to the sea, Palestine will be free” die terroristische Hamas unterstützt. So erschienen ab November bei der BILD Medienberichterstattungen in großer Aufmachung unter der Überschrift „Merkels Flüchtlingsmädchen Reem hetzt gegen Israel“, ähnlich auch B.Z. und Focus. Laut Medienberichten will der ehemalige Landtagsvorsitzende der CDU und Bundestagsabgeordnete Rehberg Reem sogar die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen lassen, obwohl dies rechtlich unmöglich sein dürfte.

Dabei hatte das Verwaltungsgericht Berlin kurz vorher entschieden, diese Parole kann auch als Aufruf zur völkerrechtlich verbindlichen Zwei-Staatenlösung verstanden werden und der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat erst im März 2024 Demo-Auflagen kassiert, weil das Motto nicht per se strafbar sei und „die Befreiung Palästinas auch friedlich möglich“ sei.

Wir Rechtsanwälte von Reem betrachten die Vorwürfe der Leitmedien als völlig haltlos, weil Reem sich seit vielen Jahren für die Rechte aller Menschen unabhängig von Religion oder Herkunft einsetzt. Dies wurde von ihr und mehreren Zeug:innen anhand von konkreten Beispielen nachgewiesen und an Eides statt versichert.

Bereits im November 2023 hat der UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (ICERD) zum aktuellen Staatenbericht der Bundesregierung in Genf ihre Besorgnis „dass friedliche Demonstrationen […] verboten werden” geäußert und festgestellt, dass eine „abschreckende Wirkung […] in Bezug auf die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf die derzeitige Situation in Palästina” herrscht. Und beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag findet in diesem Monat das Verfahren gegen Deutschland wegen der Unterstützung der Kriegsverbrechen von Israel statt.

Wir haben als Anwälte von Reem bisher vergeblich versucht die Medien zur Unterlassung und zum Widerruf ihrer verleumderischen Behauptungen zu verpflichten. Die Medienkammer des Landgerichts und das Berliner Kammergericht haben unsere Eilanträge gegen die Medien bedauerlicherweise zurückgewiesen: Es läge keine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor, weil die Meinungsäußerungsfreiheit der Medien nach Abwägung schwerer wiege.

Wir halten dies für eine inakzeptable Verletzung ihre Persönlichkeitsrechte, insbesondere weil auch die Verleumdung, sie sei eine antisemitische Terrorismusunterstützerin und „Israelhasserin“ in der gegenwärtigen öffentlichen Debatte in Deutschland schwerer wiegt als jemandem vorzuwerfen, er unterstütze eine verbotene rechtsextremistische oder faschistische Organisation.

Hierzu können wir uns auch auf eine kurz vor dem Abschluss stehende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. Hajo Funke stützen, der den von Reem veröffentlichten Inhalt in das Licht der friedliche Lösung des Konflikts stellt.

Deshalb haben wir mit Reem und ihrer Familie besprochen, weiter für die Durchsetzung ihrer Persönlichkeitsrechte zu kämpfen und ihre Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld vor den zuständigen Zivilgerichten zu verfolgen, nachdem sogar das Kammergericht in seiner ablehnenden Entscheidung im Eilverfahren einräumt: „Dabei nimmt der Senat ernst, dass die Antragsstellerin, wie sie glaubhaft macht, eine Panikattacke und einen Nervenzusammenbruch erlitten hat, nachdem sie von den Meinungsäußerungen der Antragsgegnerin erfuhr“.

Für die Unterstützung unseres Kampfes bitten wir um öffentliche Unterstützung und auch finanzielle Hilfe für die im Eilverfahren angefallenen und möglichen weiteren Kosten auf das Rechtsanwaltkonto von Rechtsanwalt Schultz (Konto IBAN: DE69 1005 0000 0399 1919 33 mit Stichwort „Reem Sahwil“)

Berlin, den 2.04.2024

H.-Eberhard Schultz                                        Ahmed Abed
Rechtsanwalt                                                   Rechtsanwalt

Pressemitteilung – Drohende Bestrafung des bekannten Friedensaktivisten H. Bücker

Drohende Bestrafung des bekannten Friedensaktivisten H. Bücker wäre ein Verstoß gegen Grund – und Menschenrechte und ein gefährlicher Präzedenzfall zur Kriminalisierung der Friedensbewegung

Hauptverhandlungstermin Amtsgericht Tiergarten am 27.4.2023.

Als Verteidiger des bekannten Friedensaktivisten Heinrich Bücker vom Coop Anti-War Café Berlin werden wir der drohenden Bestrafung unseres Mandanten entschieden entgegen treten.

Aufgrund der Strafanzeige eines uns nicht näher bekannten Berliner Rechtsanwalts gegen ihn hatte die politische Abteilung der Berliner Staatsanwaltschaft nach Ermittlungen des Landeskriminalamts beim Berliner Amtsgericht Tiergarten am 9.1.2023 einen Strafbefehl erwirkt. Mit diesem wurde gegen ihn wegen der Belohnung und Billigung von Straftaten gemäß § 140 Nr. 2 Strafgesetzbuch eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen festgesetzt.

Ihm wird im Kern vorgeworfen, sich nicht von Putins Angriffskrieg distanziert zu haben und diesen gar gutzuheißen. Hiergegen haben wir Einspruch eingelegt und diesen ausführlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht begründet.

Mit seinem Redebeitrag hatte der Mandant im Juni 2022, am Jahrestag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion, in Erinnerung gerufen, dass diesem verbrecherischen Krieg alleine 27 Millionen Bürger der Sowjetunion, die Mehrheit Zivilisten, zum Opfer gefallen sind und weiter darauf hingewiesen, dass allein in der Ukraine mehr als 1,5 Millionen Juden unter den Opfern waren. Unter der Überschrift »Wir vergessen nicht!« hatte er dazu aufgerufen, diese »schmerzliche und beschämende Erinnerung an den so ungeheuerlichen und grausamen Vernichtungskrieg, den das faschistische Deutschland der gesamten Sowjetunion – vor allem der ukrainischen, der belorussischen und der russischen Republik angetan hat« wach zu halten. Ferner gehe es »um das ehrende Gedenken der Befreiung Europas und auch Deutschlands vom Faschismus, die wir den Völkern der UdSSR verdanken, einschließlich der daraus erwachsenen Verpflichtung, für eine gedeihliche, vernünftige und friedliche Nachbarschaft mit Russland in Europa einzustehen. Damit verbinde ich Russland verstehen […]«.

Unsere Argumentation in Stichworten:

– Es bestehen jedenfalls erhebliche Zweifel am Vorliegen einer Tathandlung, weil schon kein Bezug zur Einordnung des Krieges hergestellt wird. Dabei ermangelt es an der erforderlichen Berücksichtigung des Kontextes der Äußerungen;

– Nach der Rechtsprechung liegt eine strafbare Billigung nur vor, wenn die Zustimmung zur Tat im Vordergrund steht, woran es erkennbar fehlt;

– Richtiger Ansicht nach gibt es auch keine Pflicht zur Distanzierung von Inhalten, die nicht Gegenstand der Äußerung sind;

– Eine Störung des öffentlichen Friedens kann erst recht nicht angenommen werden, entspricht der Inhalt der Rede doch nicht nur den völkerrechtlich verpflichtenden Vereinbarungen der vier Mächte anlässlich der Wiedervereinigung zum Sonderstatus Berlins und dem Erhalt des sowjetischen Ehrenmals, sondern auch den Erklärungen der Berliner Friedensbewegung am sowjetischen Ehrenmal. Sollte unser Mandant verurteilt werden, wäre dies nicht nur eine schwerwiegende Verletzung von wichtigen Grund – und Freiheitsrechten, insbesondere dem Recht auf Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, sondern würde sich einreihen in eine weitere Kriminalisierung angeblicher Feinde unserer Demokratie und „westlichen Wertegemeinschaft“.

Dies beobachten nicht nur wir mit Sorge; wäre sie doch eine brandgefährliche weitere Entwicklung des Feindstrafrechts wie der weitere Ausbau von bis vor kurzem undenkbaren Maßnahmen im Polizei und Versammlungsrecht.

Berlin, den 19.04.2023

Tobias Florian Krenzel, Rechtsanwalt.

H. – Eberhard Schultz, Rechtsanwalt.

Redebeitrag auf der Gedenkveranstaltung für Marwa El Sherbiny am 01.07.2022

Beitrag Eberhard Schultz auf der Gedenkveranstaltung für Marwa El-Sherbini vor dem Landgericht Dresden am 01. Juli 2022 – dem Tag des Antimuslimischen Rassismus

 

Mein Name ist Eberhard Schultz, bekannt als Menschenrechtsanwalt, internationalen Kontext tätig und deshalb von der Familie nach Beendigung des Verfahrens hier beauftragt worden, ihre Interessen vor deutschen Gerichten und auch international zu vertreten. Die Familie aus Ägypten, die hier leider nicht teilnehmen, lässt grüßen. Sie haben mich gebeten aus aktuellem Anlass noch einmal zu bekräftigen was sie schon in früheren Jahren, insbesondere vor dem UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung erklärt haben. Ich zitiere:

 

Wir weigern uns, uns mit der Bestrafung für die Mordtat zufrieden zu geben, während andere, die für die Tragödie mitverantwortlich sind, unberührt bleiben. Wir waren zutiefst verletzt. Wir möchten, dass dies bei keiner muslimischen Frau in Europa noch einmal vorkommt. Wir möchten unsere Würde schützen, da wir uns niemals wünschen, dass jemals jemand so viel Leid erfahren würde.“

Was sind aus der Sicht der Familie und der Betroffenen die wichtigsten Merkmale – über die grauenhaften Details hinaus, die bekannt sind, wie das buchstäbliche Abschlachten der schwangeren Marwa, der lebensgefährlichen Verletzung des Ehemanns und das Miterleben durch das damals dreijährige Kind vor Gericht?

  1. Das beginnt schon bei der Urteilsbegründung, wonach der Verurteilte nicht „aus diffusen Rassismus“, sondern „aus blankem Hass“ gehandelt habe – eine abstruse Differenzierung. Wie ich den Akten entnehmen konnte, wurde der Täter von den Ermittlungsbehörden als verwirrter Einzeltäter behandelt, rassistische Hintergründe kaum überprüft und Verbindungen zu organisierten Neonazis vollkommen ausgeblendet, obwohl er ausdrücklich zur Wahl der NPD aufgerufen hatte.
  2. Auch das Verhalten der zuständigen Richter des Landgerichts Dresden wirft mehr als nur Fragen auf: Obwohl sie bereits Monate vor der Hauptverhandlung, ein Schreiben des Rassisten erhalten hatten, wonach die Islamistin, ich zitiere wörtlich, „kein Lebensrecht“ bei uns habe, haben sie es unterlassen, eine Durchsuchung dieses Rassisten vor Betreten des Gerichts oder des Gerichtssaales anzuordnen, bei der das Küchenmesser mit der 18 cm langen Klinge sicherlich gefunden worden wäre. Sie haben nicht einmal einen Justizwachtmeister zur Verhandlung hinzugezogen, der doch das Schlimmste hätte verhindern können. Sie sind auch nicht etwa dem Ehemann von Marwa El-Sherbini bei dessen Versuch, seine Frau zu schützen, zu Hilfe gekommen, (das ist ja auch vielleicht nicht jedermanns Sache so mutig zu sein), sondern haben sich darauf beschränkt, nach längerer Beobachtung den Alarmknopf zu betätigen.

Dann der nächste bedauerliche Fehler: Der zufällig im Gericht anwesende, durch den Alarm alarmierte BKA-Beamte, eilte zwar in den Gerichtssaal und versuchte zunächst, (was ja auch korrekt und seine Aufgabe ist), mit einem Warnschuss eine solche körperliche Auseinandersetzung zwischen zwei blutüberströmten nebeneinanderstehenden und aufeinander einprügelnden zu beenden. Als dies nicht half, feuerte er einen gezielten Schuss auf einen der beiden kämpfenden Männer ab aber auf wen? Nicht etwa auf den blonden Rassisten, sondern ausgerechnet auf den schwarzhaarigen Ehemann von Marwa, der lebensgefährlich verletzt wurde und ins Koma fiel.

Es dauerte eine Stunde bis der Rettungswagen kam. Die Richter unterließen es, Verwandte und Freunde der Familie, die Arbeitgeber der Apothekerin, Marwa war damals als Apothekerin hier im Arbeitsverhältnis, und das Max-Planck-Institut, wo ihr Ehemann eine Doktorarbeit anfertigte, ausfindig zu machen und zu informieren zu, was anhand der Akte ohne weiteres möglich gewesen wäre. Nicht einmal das ägyptische Konsulat wurde benachrichtigt. So erhielt die Familie erst durch Zufall später Kenntnis von dieser schrecklichen Mordtat. Also ist aus der Sicht der Familie keineswegs nur der verurteilte Rassist für diese „mehrdimensionale Tragödie“, wie sie es genannt haben, verantwortlich und wie sie es auch vor dem von mir angerufenen UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (ICERD) wegen der unzureichenden Behandlung der Mordtat in Deutschland formuliert haben.

  1. Wer vielleicht meint, diese sträflichen Fehler seien auf besondere (damalige) Verhältnisse in Dresden zurückzuführen, der irrt. Bekanntlich erregte die schreckliche Mordtat seinerzeit kein besonderes mediales Echo und auf politischer Ebene wurde die Bundesregierung erst Wochen später aktiv, als massive Proteste und Demonstrationen aus Ägypten, die international Aufsehen erregten, auch bei uns bekannt wurden.

Auch das dürfen wir nicht vergessen: Den großen Mut von Marwa, den der Kollege eben schon erwähnt hat. Wenn jetzt nach mehr als zehn, dreizehn Jahren wenigstens der Park gegenüber des Landgerichts nach Marwa El-Sherbini benannt wird, könnte das ein erster Schritt zur Wiedergutmachung sein.

  1. Zu den Aktuellen Entwicklungen: Die Richter des UN-Ausschusses haben sich darauf verständigt, dass sie keine virtuellen Sitzungen abhalten, sondern sich unbedingt in Genf zusammensetzen wollen, sobald das praktisch möglich ist. Deshalb werden wir das Verfahren zeitnahe wieder aufgreifen.

Zur Beschwerde an den UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (CERD):

Vor mehr als zehn Jahren habe ich, im Auftrag der Familie von El-Sherbini, beim zuständigen UN-Ausschuss, zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung, eine ausführlich begründete Beschwerde mit zahlreichen Dokumenten über die verschiedenen Verfahren eingereicht, aus denen sich die Verletzung der Vorschriften  und die rassistische Diskriminierung ergibt.

Nach einer umfangreichen Korrespondenz ergaben sich vor mehr als fünf Jahren eine Reihe von Rückfragen: es ging insbesondere um Fragen nach der Ausschöpfung aller nationalen gerichtlichen Instanzen in Deutschland. Wir haben versucht, diese Fragen umfassend zu beantworten und die erforderlichen Dokumente zu übersenden.

Dann kam es zu einer bedauerlichen Entwicklung die als „Stillstand der Rechtspflege“ bezeichnet werden könnte – zuletzt auch wegen der Corona Maßnahmen: die Richter des UN-Ausschusses haben sich in unserem Fall, wie auch in einer Reihe von anderen Fällen darauf verständigt, dass sie keine virtuellen Sitzungen durchführen, sondern auf Sitzung vor Ort in Genf bestehen und diese dann erst durchführen, sobald dies wieder möglich ist.

Deshalb werden wir das Verfahren zeitnah wieder aufgreifen können. Weil die deutsche Justiz es versäumt hat, in dem Verfahren die Mitverantwortlichen für diese „mehrdimensionale Tragödie“ zu Rechenschaft zu ziehen.

Eine weitere Entwicklung, die die Familie sehr beunruhigt: es gab eine Meldung in den Medien, wonach der zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilte, rassistische Mörder voraussichtlich in zwei Jahren freikomme. Dies erscheint nach meinen Erfahrungen mit dem Strafvollzug in vergleichbaren Fällen auch nicht ganz ausgeschlossen.

Ich habe daraufhin das sächsische Justizministerium um genaue Informationen hierzu gebeten. Von dort wurde mir versprochen, diese Frage zu klären. Dies ist aber bis heute nicht geschehen. Wobei ich soeben die Nachricht erhielt, dass ich mich dazu direkt an das zuständige Gericht wenden muss und dies mache ich zeitnah.

Ich glaube, wir können uns nur schwer in die Situation der Familie versetzen, die nach alledem, statt eine Wiedergutmachung zu erhalten, die diesen Namen verdient, derartige Alpträume durchmachen muss!?

 

Pressemitteilung Marwa El Sherbiny 13.07.2022

Rechtsanwälte der Familie der vor 13 Jahren im Landgericht Dresden ermordeten Ägypterin Marwa El Sherbini mahnen die Erfüllung wichtiger Aufgaben für die Justiz und Politik an

 Das Verfahren vor dem UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistische Diskriminierung (CERD) wird fortgesetzt und beim Landgericht Dresden eine Auskunft wegen der beunruhigenden Meldung verlangt, wonach der verurteilte rassistische Mörder schon bald frei kommen könnte.

Auf der diesjährigen offiziellen Gedenk-veranstaltung zur Ermordung der Ägypterin Marwa El Sherbini am 1. Juli vor 13 Jahren sprachen auf Einladung des sächsischen Justizministeriums in diesem Jahr zwei Rechtsanwälte der Familie von Marwa El Sherbini: vor mir Rechtsanwalt Khaled Abou Bakr aus Ägypten und Paris, der die Familie bereits im Verfahren gegen den rassistischen Mörder vertreten hatte.

Obwohl es regnete, blieben die mehr als hundert erschienenen, interessierten Gäste bis zur anschließenden Kranzniederlegung und Schweigeminute und viele dankten uns ausdrücklich für unsere Beiträge. Sie versprachen, den weiteren Kampf auf juristischer und politischer Ebene zu unterstützen, damit der 1. Juli als der Tag des Antimuslimischen Rassismus auch den institutionellen Rassismus ins Visier nimmt.

Besondere Aufmerksamkeit erregten zwei aktuelle Entwicklungen:

– die von mir angekündigte Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem UN Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (CERD) gegen die Bundesrepublik Deutsch-land wegen Nichtbehandlung der rassistischen Diskriminierung in den hiesigen Strafverfahren.

– Die Meldung in einigen Medien, wonach der rassistische Mörder trotz seiner Verurteilung zur lebenslanger Haftstrafe mit besonderer Schwere der Schuld in Kürze möglicherweise wieder frei kommen könnte, sorgt bei der Familie und allen, die die Familie und ihr Anliegen unterstützen, für besondere Empörung.

Ich habe daher die notwendigen Schritte zur Fortsetzung des Verfahrens von dem Genfer UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung und die Auskunft über die mögliche Freilassung des Verurteilten inzwischen auf den Wege gebracht.

Gerne leite ich die Bitte der Familie aus Ägypten weiter, die Wiedergutmachung des ihr und allen Muslim:innen in dieser »mehrdimensionalen Tragödie« in Angriff zu nehmen.

Besonders erfreulich ist die in diesem Jahr erstmals parallel zur Dresdner Veranstaltung am 1. Juli durch-geführte Veranstaltung eines antirassistischen Bündnisses in Nordrhein-Westfalen, auf der ebenfalls ein Beitrag des unterzeichnenden für die Familie gesendet wurde.

Berlin, 13.07.2022

Eberhard Schultz,

Rechtsanwalt

 

Pressemitteilung zu den Strafverfahren gegen den Journalisten Anselm Lenz vor dem Amtsgericht Tiergarten

Heute wurde Einspruch gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 06.04.2022 erhoben, mit dem der Journalist Anselm Lenz, Mitherausgeber der Zeitung »Demokratischer Widerstand« wegen angeblicher Verleumdung einer hochgestellten politischen Persönlichkeit nach §§ 186, 188 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt wird – ein Termin zur öffentlichen Hauptverhandlung ist noch nicht absehbar.

Auch die Strafverfahren im Zusammenhang mit den sogenannten Hygiene–Spaziergängen im April 2020 wegen des Vorwurfs Widerstand gegen die Staatsgewalt u.a. werden vor dem Hintergrund einer aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der jüngsten Kritik des UN-Sonderberichterstatters für Folter zum  Einsatz von Polizeigewalt bei Berliner Demonstrationen neu aufgerollt werden müssen.

Die Richterin am Amtsgericht Tiergarten hatte eine Vertagung der öffentlichen Hauptverhandlung gegen den Mandaten über die Anklageschrift zu dem Vorwurf der Verleumdung am 06.04.2022 abgelehnt, obwohl für den Angeklagten ein Attest der ihn behandelnden Psychotherapeutin vorlag, mit dem seine vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt wurde. In der aufgrund des Einspruchs nunmehr erneut anzuberaumenden öffentlichen Hauptverhandlung wird der Antrag der Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens wegen massiver öffentlicher Vorverurteilung ebenso behandelt werden müssen, wie eine Reihe von angekündigten Beweisanträgen. Dabei wird Verteidigung nach einer erfolgreichen Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung der Amtsrichterin aufgrund der Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 30.03.2022 wegen der Schwierigkeit der Rechtslage als Pflichtverteidiger tätig sein.

In einer Reihe von Strafverfahren im Zusammenhang mit den sogenannten Hygiene-Demonstrationen (ab 28. März 2020) wegen des Vorwurfs des Widerstands gegen die Staatsgewalt anlässlich von Festnahmen wegen Teilnahme an einer verbotenen Versammlung hatte die Verteidigung vor allem zwei Argumentationslinien verfolgt:

– es habe sich nicht um verbotene Versammlungen gehandelt sondern aufgrund einer Absprache zwischen Herrn Lenz und dem Leiter der Berliner Versammlungsbehörde um das Verteilen von Informationsmaterial »on the fly«;

– die zu Grunde liegenden, seinerzeit geltenden, Versammlungsverbote haben gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Grundgesetz und Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen.

Darüber hatte sich die Amtsrichterin mit dem Argument hinweggesetzt, es reiche aus, dass die Polizeibeamten im Rahmen ihrer Zuständigkeit gehandelt hätten, weswegen jeder Widerstand rechtswidrig gewesen sei (sog. formeller Rechtswidrigkeitsbegriff, der aber in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist). Zuletzt hat sich die Verteidigung ergänzend auf eine kürzlich veröffentlichte Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Verfahren gegen die Schweiz gestützt, mit der die Schweiz wegen Verstoßes gegen die EMRK verurteilt wurde, weil sie bei Versammlungen das seinerzeit gültige absolute Versammlungsverbot angewandt hatte (ECHR 087/2022 CGas./.Schweiz, Pressemitteilung v. 15.3.22).

Berlin, den 27.04.2022 ,

H.- Eberhard Schultz,

Rechtsanwalt

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Zum Sachverhalt und den Hintergründen

 

In den Medien wurde zwar über den Strafbefehl berichtet(https://www.bz-berlin.de/tatort/menschen-vor-gericht/jens-spahn-verunglimpft-4800-euro-geldstrafe-fuer-corona-regel-gegner; https://www.tonline.de/region/berlin/news/id_100006652/spahn-verunglimpft-gegner-von-corona-politik-verurteilt.html ) – nicht jedoch, wie es dazu kam und worum es in den Verfahren letztlich geht.

Im Verfahren gegen den Journalisten Anselm Lenz wegen Verleumdung hat das Gericht den jetzt in der Hauptverhandlung erlassenen Strafbefehl auf die ursprüngliche Anklageschrift bezogen. Darin wird diesem sowie einem weiteren Herausgeber der Zeitung eine „gegen Personen des politischen Lebens gerichtete üble Nachrede“ vorgeworfen, weil sie den früheren Bundes-Gesundheitsminister Spahn als „… Drogenkonsumenten“ bezeichnet hätten. Die Verteidigung hat demgegenüber für den Angeklagten neben Beweisanträgen zum Drogenkonsum des früheren Ministers insbesondere auf zahlreiche andere Artikel der Zeitung verwiesen, in denen dessen politische Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Corona-Krise scharf kritisiert und teilweise karikiert wurden – ähnlich wie in dem satirischen Beitrag des Kabarettisten M. Richling unter dem Titel „Lauterbach kifft…“, der unbeanstandet im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (SWR am 17.12.2021) verbreitet worden ist.

In dem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 30.3.2022 von Bedeutung, mit der der Beschwerde der Verteidigung geben den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts stattgegeben wurde: entgegen der Ansicht der Amtsrichterin liege eine Schwierigkeit der Rechtslage vor, weil »der vorliegende Sachverhalt Bezüge zur grundrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit aufweist, die […] berücksichtigt werden müssen«. Weiter wird zu klären sein, warum die Anklage sich nur gegen zwei der vier Herausgeber richtet, nicht aber gegen einen weiteren, den international renommierten Theoretiker des Ausnahmezustandes, Professor Giorgio Agamben. Das dürfte auch für die Problematik der massiven öffentlichen Vorverurteilung des Angeklagten Journalisten Lenz wichtig sein, der im Zusammenhang mit einem weiteren Verfahren zum Gegenstand einer – in dieser Form seltenen – Hetze gegen den Betroffenen geführt hat, nicht nur in den sozialen Medien sondern bis hinein in bekannte Massenmedien und weit über Berlin hinaus, in denen er als »Corona-Leugner«, „Querdenker“ und »Verschwörungstheoretiker« (nach offizieller Lesart zumindest geistige Verbrechen) bezeichnet und in den sozialen Medien darüber hinaus als »Neonazi« und »Antisemit« an den Pranger gestellt wurde.

Schließlich wird in dem Zusammenhang die erneute scharfe Kritik des UN-Sonderberichterstatters für Folter und erniedrigende Behandlung, Nils Melzer, an der massiven Gewalt der Sicherheitskräfte bei Polizeieinsätzen auf Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/un-experte-sieht-systemversagen-bei-polizeigewalt-in-deutschland-17971633.html) zu berücksichtigen sein. Nach dem Artikel der FAZ hat der bisherige UN-Sonderberichterstatter „schwere Kritik an den deutschen Sicherheitsbehörden geübt … in Deutschland gibt es nach Auffassung eines UN-Menschenrechtsexperten ‚Systemversagen‘ … Melzer war im Sommer 2021 wegen mehrerer Videos, die offenbar Polizeigewalt bei Berliner Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen zeigten, aufgeschreckt worden. Er äußerte Sorge darüber und bat die Bundesregierung um eine Stellungnahme … nach Auffassung der Bundesregierung sei es verhältnismäßig gewesen, dass Polizisten beispielsweise einen nicht agressiven Demonstranen vom Fahrrad stießen und auf den Boden warfen. ‚Die Wahrnehmung der Behörden, was verhältnismäßig ist, ist verzerrt‘, sagte Melzer. … ‚Die Behörden sehen gar nicht, wie blind sie sind … während Demonstranten teils in Schnellverfahren abgeurteilt würden, würden Verfahren gegen Polizisten eingestellt oder verschleppt, ‚bis niemand mehr hinschaut‘. Sein Fazit: ‚Die Überwachung der Polizei funktioniert in Deutschland nicht.‘“

PM zur Eröffnung der internationalen Wochen gegen Rassismus 2022 am 14.03.2022 im Marwa-El-Sherbiny-Park

Bei der Eröffnung der internationalen Wochen gegen Rassismus 2022 am 14.03.2022 im Marwa-El-Sherbiny-Park vor dem Landgericht Dresden muss der institutionelle Rassismus auch ihres Falles thematisiert werden

 

Als Rechtsanwalt der Familie, der am 01. Juli 2009 am Landgericht Dresden ermordeten ägyptischen Apothekerin Marwa El-Sherbiny hat mich der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Dresden zur Eröffnungsveranstaltung der internationalen Wochen gegen Rassismus 2022 am Montag, den 14.03.2022 um 16:30 Uhr in den Marwa-El-Sherbiny-Park in der Lothringer Straße vor dem Landgericht Dresden eingeladen. Aus diesem Anlass aktualisiere ich meinen Beitrag zur vorangegangenen Gedenkveranstaltung im Jahre 2021 (siehe unten).

Ich würde mich freuen, wenn Sie uns helfen, das weitere Schritte zur Wiedergutmachung des der Familie zugefügten Leids und Unrechts zeitnah eingeleitet werden. Ich bin vor Ort ansprechbar oder gerne auch per Email.

 

Mit freundlichen und antirassistischen Grüßen,

Berlin, den 14.03.2022

H.-Eberhard Schultz, Rechtsanwalt

 

Hier zunächst mein Beitrag als Rechtsanwalt der Familie zu der vorangegangenen Gedenkveranstaltung im Jahre 2021:

 

Die Familie aus Ägypten hat mich gebeten, aus aktuellem Anlass noch einmal zu bekräftigen, was sie schon in früheren Jahren erklärt hatte. Ich zitiere aus der Erklärung der Familie an den UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung von 2014:

„Wir weigern uns, uns mit der Bestrafung für die Mordtat zufrieden zu geben, während andere, die für die Tragödie mitverantwortlich sind, unberührt bleiben. Wir waren zutiefst verletzt. Wir möchten, dass dies bei keiner muslimischen Frau in Europa noch einmal vorkommt, wir möchten unsere Würde schützen, da wir uns niemals wünschen, dass jemals jemand so viel Leid erfahren würde.“

Deshalb wollen wir an dieser Stelle nicht nur an die schreckliche Tat am 1. Juli erinnern, die erste bekannt gewordene rassistische Ermordung einer Kopftuchträgerin; weshalb der 1. Juli zum Tag des Antimuslimischen Rassismus in Deutschland geworden ist.

Was sind aus der Sicht der Familie und der Betroffenen die wichtigsten Merkmale über die grauenhaften Details hinaus – das buchstäbliche Abschlachten der schwangeren Marwa, der lebensgefährlichen Verletzung des Ehemanns und das Miterleben durch den damals dreijährigen Sohn?

 

  1. Das beginnt bei der Urteilsbegründung, wonach der Verurteilte nicht „aus diffusem Rassismus“ sondern „aus blankem Hass“ gehandelt habe – eine abstruse Differenzierung. Wie ich den Akten entnehmen konnte, wurde der Täter von den Ermittlungsbehörden als verwirrter Einzeltäter behandelt, rassistische Hintergründe kaum überprüft und Verbindungen zu organisierten Neonazis vollkommen ausgeblendet, obwohl er öffentlich zur Wahl der NPD aufgerufen hatte.

Und nicht nur das: Die bei ihm beschlagnahmte Festplatte seines PCs, auf der sich auch die Korrespondenz mit den Neonazis befand, ging ausgerechnet während der Untersuchung in der Staatsschutzabteilung des LKA in Flammen auf und war nicht mehr rekonstruierbar!

 

  1. Auch das Verhalten der zuständigen Richter des Landgerichts Dresden wirft mehr als nur Fragen auf:

– Obwohl sie bereits Monate vor der Hauptverhandlung ein Schreiben des russlanddeutschen Rassisten erhalten hatten, wonach die Islamistin „kein Lebensrecht“ bei uns habe, hatten sie es sträflich unterlassen, eine Durchsuchung vor Betreten des Gerichtssaales anzuordnen, bei der das Küchenmesser mit der 18 cm langen Klinge festgestellt worden wäre. Sie haben nicht einmal einen Justizwachtmeister zur Verhandlung hinzugezogen, der das Schlimmste hätte verhindern können. Sie sind auch nicht etwa dem Ehemann von Marwa bei dessen Versuch, seine Frau zu schützen, zu Hilfe gekommen, sondern haben sich darauf beschränkt, nach längerer Beobachtung den Alarmknopf zu betätigen.

– Daraufhin ereignete sich der nächste folgenreiche Fehler: Der zufällig im Gerichtsgebäude anwesende, durch den Alarm alarmierte BKA-Beamte, eilte zwar in den Gerichtssaal und versuchte zunächst mit einem Warnschuss die körperliche Auseinandersetzung zu beenden. Als dies nicht half, feuerte er einen gezielten Schuss auf einen der beiden kämpfenden Männer ab – aber nicht etwa auf den blonden Russlanddeutschen, sondern ausgerechnet auf den schwarzhaarigen Ehemann von Marwa, der lebensgefährlich verletzt wurde und ins Koma fiel.

– Es dauerte eine Stunde, bis der Rettungswagen kam.

– Die Richter unterließen es, Verwandte und Freunde der Familie, die Arbeitgeber der Apothekerin Marwa und das Max-Planck-Institut, wo ihr Ehemann an seiner Doktorarbeit arbeitete, ausfindig zu machen und informieren zu lassen, obwohl ihnen dies anhand der Unterlagen aus dem Strafverfahren ohne weiteres möglich gewesen wäre. Nicht einmal das ägyptische Konsulat wurde benachrichtigt. So erfuhr die Familie erst durch Zufall von dieser schrecklichen Mordtat.

Also ist aus der Sicht der Familie keineswegs nur der verurteilte Rassist für die-se „mehrdimensionale Tragödie“ verantwortlich, wie sie es gegenüber dem UN-Ausschuss formuliert haben.

 

  1. Wer vielleicht meint, diese sträflichen Fehler seien auf besondere Verhältnisse in Dresden zurückzuführen, der irrt. Bekanntlich erregte die schreckliche Mordtat seinerzeit kein besonderes mediales Echo und auf politischer Ebene wurde die Bundesregierung erst aktiv, als es massive Proteste und Demonstrationen in Ägypten gab, die international Aufsehen erregten.

Auch das dürfen wir nicht vergessen: Den großen Mut, der dazu gehörte, dass Marwa überhaupt wegen der rassistischen Beleidigungen und Bedrohungen als Zeugin und Betroffene das Ermittlungsverfahren und zwei gerichtliche Instanzen durchgestanden hat. Wir wissen heute von Organisationen, die Menschen mit Migrationsgeschichte beraten und vertreten: Etwa die Hälfte von rassistischen Beleidigungen, Nötigung und Bedrohungen sowie tätlichen Angriffen werden von den Betroffenen nicht einmal angezeigt – aus berechtigter Furcht nicht nur vor der Rache der Täter, sondern vor allem der Untätigkeit der Behörden oder gar davor, dass der Spieß umgedreht und sie erste Opfer von Ermittlungsmaßnahmen werden.

Und last but not least: Es wäre noch viel über die weiteren Verfahren zu sagen, aber ich fasse hier zusammen:

Auch die Familie unterstützt selbstverständlich die Forderung, den Platz vor dem Landgericht nach Marwa El Sherbiny zu benennen. Das wäre wenigstens auch ein Zeichen gegen den strukturellen Rassismus. Sie erwarten mehr als ein Gedenken von Dresden und Deutschland!

Wenn die Benennung des Platzes nach Marwa El Sherbiny bisher mit der Begründung abgelehnt wurde, das würde ein „Mahnmal der Schande“, dann sollte es genau ein solches Mahnmal werden!

 

Wenn jetzt nach mehr als zehn Jahren wenigstens der Park gegenüber dem Landgericht nach Marwa El Sherbiny benannt wird, könnte das ein erster Schritt zur Wiedergutmachung sein!?

 

Zum Hintergrund des Verfahrens weitere Informationen in der Falldokumentation des Buches von EBERHARD SCHULTZ »Feindbild Islam und institutioneller Rassismus – Menschenrechtsarbeit in Zeiten Migration und Anti-Terrorismus« (VSA-Verlag Hamburg 2018, Seite 115 ff.).

Ergänzende Hinweise der Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation:

Wir arbeiten an einer Kritik des letzten Staatenberichts der Bundesregierung an den UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (CERD), mit wissenschaftlicher Begleitung von Dr. Cengiz Barskanmaz vom Max-Planck-Institut. Ein Bericht, der demnächst als so genannter NGO-Parallelbericht zusammen mit einer möglichst großen Zahl anderer Nichtregierungsorganisationen und Expert*innen die Sicht der von strukturellem Rassismus Betroffenen darstellen soll.

Weitere Unterstützer*innen sind willkommen! Näheres unter: www.sozialemenschenrechtsstiftung.org.