Der Fall Mohamed Hajib – Verfassungsbeschwerde erfolgreich

Kurz vor den Pfingstfeiertagen wurde uns der ausführlich begründete Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom 12.05.21 zugestellt, der unserer Verfassungsbeschwerde vom Februar 2020 stattgibt. Die Klage des Deutsch-Marokkaners Mohamed Hajib gegen die Bundesregierung auf Schmerzensgeld darf nicht mangels Erfolgsaussichten abgelehnt werden.

Mit ihm hebt das Verfassungsgericht den Beschluss des Kammergerichts auf, mit dem der Antrag des Deutsch-Marokkaners Mohamed Hajib auf Prozesskostenhilfe für seine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Schmerzensgeld in Millionenhöhe wegen Mitverantwortung für schwerste Folter und langjährige Isolationshaft abgelehnt worden war.

Das Kammergericht muss nun neu entscheiden, weil es mit der Ablehnung der Prozesskostenhilfe im Wege einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt hat – ausdrücklich rügt das Verfassungsgericht die Verletzung des Grundrechts auf Rechtsschutzgleichheit nach Art. 10 der Berliner Landesverfassung in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Sozialstaatsprinzip.

Damit könnte eine wichtige Hürde bei der längst überfälligen Durchsetzung der Schadenersatzansprüche meines Mandanten genommen sein. Hat sich das von uns in Anspruch genommene Bundesinnenministerium doch seit Jahren geweigert, meinem Mandanten ein angemessenes Schmerzensgeld wegen der Mitverantwortung der Bundesregierung an den schwersten Menschenrechtsverletzungen wegen angeblicher Terrorunterstützung zuzuerkennen – obwohl es allen Anlass dazu gegeben hätte. Sprachen doch nicht nur alle Umstände dafür, der Fall hatte seit 2010 nicht nur im Bundestag, sondern auch von renommierten internationalen Menschenrechts-

organisationen und schließlich den Menschenrechtsbeauftragten der UN zu Kritik und Protest geführt; schließlich hat sogar die UN – Vollversammlung eine Resolution veranlasst, die vom Königreich Marokko seine umgehende Freilassung gefordert hat. Statt dies mit diplomatischen und politischen Mitteln zu unterstützen, versuchten Bundesbehörden zunächst, meinem Mandaten die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, was nur mit anwaltlicher Hilfe verhindert werden konnte: Wie im Fall des Bremers Murat Kurnaz, der als Guantanamo-Häftling jahrelang schwer gefoltert wurde, war meinem Mandanten vorgeworfen worden, die angeblich terroristische Organisation Tablia Jamal (TJ) unterstützt zu haben. Erst als ich das von einem US – amerikanischen Militärgericht eingeholte Sachverständigengutachten vorgelegt habe, wonach es sich bei der TJ keineswegs um eine terroristische Organisation handelt, bequemte sich die zuständige Behörde, von der Ausbürgerung abzulassen.

Die deutschen Behörden schreckten nicht einmal nach seiner Haftentlassung und Rückkehr nach Duisburg 2017 davor zurück, den schwer traumatisierten und für immer gezeichneten Mandanten weiter als Gefährder zu behandeln und bei jedem Grenzübertritt zum Besuch seiner nach Irland verzogenen Familie stundenlagen Verhören zu unterziehen; ja sogar vor der geplanten Tour de France in Düsseldorf im Jahre 2017 eine Verbotsverfügung gegen ihn zu erlassen, weil er ja dort gerade einen Terroranschlag vorhätte. Dies, obwohl ihnen bekannt war, dass er zu dem Zeitpunkt in Irland bei seiner Familie war. (näheres zum Sachverhalt siehe unten).

Es wäre also einiges wieder gut zu machen. Wir dürfen gespannt sein, ob das Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde zum Anlass nimmt, sich endlich seiner Mitverantwortung zu stellen.

Zu den Hintergründen

Damit geht der Antrag vom Dezember 2017 auf Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland in die nächste Runde. Darin hatte ich beantragt:

„1. die Beklagte zu verurteilen an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum ab dem (…) zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 1.500.000 €;

  1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene Schmerzensgeldrente zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter monatlich 1.000,00 € (…) zu zahlen.
  2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden – letztere soweit die aus der willkürlichen Festnahme ab dem 17.2.2010 und der darauffolgenden Untersuchungshaft, und den anschließenden siebenjährigen Gefängnisaufenthalt mit weiteren Misshandlungen und Folterungen in Marokko zurückzuführen sind, zu zahlen…“

Das auch am Verfassungsbeschwerdeverfahren beteiligte Bundesinnenministerium hatte im Verfahren vor dem Landgericht und Kammergericht jede Mitverantwortung abgelehnt, obwohl mein Mandant 2010 (von Pakistan nach Frankfurt abgeschoben) von einem Großaufgebot von Beamten der Landeskriminalämter Hessen, Nordrhein-Westfalen und des Bundeskriminalamts genötigt worden war entgegen seiner damaligen Absicht nach Marokko weiter zu fliegen; es fand eine sogenannte Gefährder-Ansprache als möglicher Unterstützer islamistischer Terroristen der TJ statt. Er wurde von den LKA-Beamten bis ins Flugzeug begleitet und das BKA übermittelte seine bevorstehende Landung in Casablanca dem marokkanischen Geheimdienst. In dem Verfahren vor den Zivilgerichten hatte sich das Bundesinnenministerium mit den Argumenten aus der Affäre gezogen, der Mandant habe ja sowieso vorgehabt, nach Marokko zu fliegen und außerdem hätte die marokkanische Seite ihn ohnehin als islamistischen Terror-Unterstützer auf dem Schirm gehabt, so dass keine Schuld der deutschen Seite vorliegen könnte. Diese Argumentation hatten Landgericht und Kammergericht letztlich abgesegnet, ohne auch nur über die bestrittenen Behauptungen Beweis zu erheben oder den Wortlaut der Übermittlung an den marokkanischen Geheimdienst mitzuteilen.

Dem hat das Verfassungsgericht jetzt einen Riegel vorgeschoben und insbesondere moniert, dass nicht einmal der Wortlaut der übermittelten Nachricht an den marokkanischen Geheimdienst mitgeteilt worden sei. Wir dürfen gespannt sein, ob jetzt endlich Beweis erhoben und die vollständige Mitteilung bekannt gemacht wird; oder ob sich die Bundesregierung weiter ihrer Verantwortung zu entziehen versucht. Dies dürfte jedoch nach der Entscheidung der Verfassungsrichter*innen und der zwischenzeitlichen Entwicklung auf marokkanischer und deutscher Seite immer schwieriger werden, wenn die deutsche Seite nicht jede Glaubwürdigkeit verlieren will. Versucht sie doch alles, um ihr weltweites Engagement zur Wahrung der Menschenrechte in anderen Staaten für inhaftierte Oppositionelle – selbst wenn diese nicht zugleich deutsche Staatsangehörige sind – glaubhaft zu machen.

Rechtsanwalt Eberhard Schultz, Berlin den 26.05.2021

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