Beschwerde beim CERD nach SEK-Einsatz

Pressemitteilung vom 15.01.2020

Der UN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung (CERD) hat die Beschwerde meines Mandanten Mohamad S. und seiner Frau Fatima gegen die Bundesrepublik Deutschland angenommen und der Bundesregierung zur Stellungnahme übersandt.

Mit Schreiben vom 09.12.2019 hat mich die Geschäftsstelle der UN-Menschenrechtskommission aus Genf benachrichtigt, dass unsere Beschwerde vom 05.12.2016 registriert wurde und an den betroffenen Staat, also an die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung, weitergeleitet werde. Diese hat innerhalb von drei Monaten Gelegenheit zur Stellungnahme. Damit ist eine erste wichtige Hürde in diesem internationalen Beschwerdeverfahren genommen und es besteht die realistische Chance, dass sich die hiesigen Behörden endlich ihrer Verantwortung wegen einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung in vollem Umfang stellen.

Die Beschwerdeführer sind Opfer eines Polizeieinsatzes des Berliner Sondereinsatzkommandos (SEK), der zu einer Körperverletzung mit schweren Folgen führte und offensichtlich auf einer Verwechslung beruhte. Sie haben daraufhin die eingesetzten Polizeibeamten wegen der Körperverletzung im Amt, der Freiheitsberaubung, der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs und der Beleidigung angezeigt und Strafanzeige gestellt.

Das Verfahren wurde eingestellt, die dagegen erhobene Beschwerde und das Klageerzwingungsverfahren blieben ebenso erfolglos wie die Anhörungsrüge und die Verfassungsbeschwerde. (Zum Sachverhalt s.u.)

Mit der Beschwerde an den UN-Ausschuss wurde die Verletzung des internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) gerügt. Dieses bestimmt in Artikel 1 als Rassendiskriminierung jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.

Deutschland ist bereits einmal vom Ausschuss im Fall des früheren Berliner Finanzsenators Dr. Thilo Sarrazin wegen Verletzung des Abkommens verurteilt worden, ohne dass hieraus die notwendigen Konsequenzen gezogen worden wären. Bleibt also zu hoffen, dass das vorliegende weitere Verfahren auch auf dieser Ebene zu einem Umdenken und Umsteuern in diesem wichtigen Bereich der Menschenrechte führt.

Für weitere Informationen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung


Zum Sachverhalt:

1. Am Morgen des 21.11.2012 gegen 8:45 Uhr stürmten mehrere SEK-Beamte die Maisonette-Wohnung der Beschwerdeführer. Nachdem sie im Erdgeschoss auf die im fünften Monat schwangere Beschwerdeführerin und ihre einjährige Tochter trafen, welche angewiesen wurden, ruhig zu sein, gingen die Beamten in den ersten Stock, wo der Beschwerdeführer geschlafen hatte. Dieser hatte sich bereits vom Tumult geweckt zur Treppe begeben. Als er die vermummten Beamten sah, ging er zunächst davon aus, dass er und seine Familie von Neo-Nazis überfallen würden, stürmte zum Fenster, rief nach der Polizei und wollte in seiner Angst auf den Hof springen. Er wurde jedoch vom Fenster weggerissen, zu Boden gebracht und mit Handschellen fixiert. Dabei erlitt er erhebliche Verletzungen.

Den Beschwerdeführern wurde der Grund für die Erstürmung ihrer Wohnung nicht mitgeteilt. Als die Beschwerdeführerin – strenggläubige Muslimin – darum bat, ein Kopftuch, welches sich gleich links neben ihr auf dem Sofa befand, anlegen zu dürfen, wurde ihr diese Bitte verwehrt. Nachdem sie darum gebeten hatte, für ihren Mann, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, übersetzen zu dürfen, wurde ihr dies erst nach 15 Minuten erlaubt. Dann erst wurden die Pässe der Beschwerdeführer kontrolliert, um ihre Identität festzustellen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte klar sein müssen, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um die gesuchte Person handelte und die falsche Wohnung gestürmt worden war. Dennoch wurden die Beschwerdeführer weder aus der beängstigenden Situation entlassen noch diese erklärt oder es ihnen erlaubt, einen Anwalt zu kontaktieren.

Nach geschätzten 45 bis 60 Minuten erst kam ein anderer Beamter, offensichtlich ein Vorgesetzter, hinzu und löste die Handschellen. Er entschuldigte sich bei der Beschwerdeführerin, teilte ihr mit, dass es ein Missverständnis gegeben habe und die falsche Wohnung gestürmt worden sei wegen einer Verwechslung aufgrund des teilidentischen Namens des Beschwerdeführers mit der eigentlichen gesuchten Person. Eigentlich sollte die Wohnung eines Mannes namens F. O. durchsucht werden, welcher im gleichen Haus wohne. Wie sich aus der späteren Akten-Einsicht ergab, wurde dieser wegen eines Diebstahls von Hemden in einem Supermarkt im Wert von einigen hundert € Schaden gesucht.

Die Verwechselung erscheint jedoch für den Einsatz eines Sondereinsatzkommandos in der Metropole Berlin geradezu aberwitzig; bei dem Argument, der Irrtum sei wohl aufgrund des „teilidentischen Namens“ entstanden, handelt es sich vielmehr wohl um eine durchsichtige Schutzbehauptung (ganz abgesehen davon, dass während des stundenlang Einsatzes keinerlei Suche nach angeblich gestohlen Hemden stattfand).

Der Name des Mandanten Mohamed S. ist mit dem angeblich gesuchten F. O. mit keiner Silbe, keinem Buchstaben, also in keiner Hinsicht identisch oder teilidentisch. Nur dieser Name des Antragstellers (M. S.) steht auf der Klingel, an der Wohnungstür befand sich lt. Akte überhaupt kein Name. Selbst der Name der Frau, Fatima C. O. wäre nur hinsichtlich zweier Anfangsbuchstaben von Vor- und Familienname identisch. Auch insoweit kann also nicht von einer Teilidentität die Rede sein, es sei denn, es sei unbekannt, dass es sich bei Fatima um einen Frauennamen handelt, und man hielte alle arabischen Namen, die mit „Fa… OM…“ beginnen, für teilidentisch, was so ähnlich wäre, wie wenn etwa „Harald Schmidt“ für teilidentisch mit „Hannelore Schuster“ gehalten würde.

Ein solches Ergebnis kann also bei arabischen Namen nur annehmen, wer – rassistischen Vorurteilen folgend – farbige Menschen für gleich aussehend bzw. gleichen (unaussprechlichen) Namens hält, weil er sich nicht die Mühe macht, diese mit unterschiedlichen Vor- und Nachnamen als Individuen wahrzunehmen und zu behandeln, oder sich zumindest eines Dolmetschers bedient.

Der Beschwerdeführer erlitt durch den Vorfall erhebliche physische Verletzungen und leidet seitdem außerdem an einer posttraumatischen Belastungsstörung, weshalb er in ständiger fachärztlicherBehandlung ist.

2. Am 22.11.2012 erstattete der frühere Bevollmächtigte der Antragsteller Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Berlin wegen schwerer Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs und wegen Beleidigung und begründete diese ausführlich.
 Im Rahmen der Akteneinsicht erfuhr er, dass auch von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war, welches ohne Benachrichtigung der Antragsteller eingestellt worden war. Auch alle weiteren Beschwerden gegen die bisherigen Ermittlungen, die im Wesentlichen auf Vernehmungen einiger beteiligter Polizeibeamten Bezug nahmen, blieben letztlich erfolglos. Mit Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft vom 04.08.2014 wurde den Antragstellern mitgeteilt, dass diese sich nicht in der Lage sehe, anders zu entscheiden.

Gegen den ablehnenden Bescheid, stellten die Beschwerdeführer dann, fortan durch mich vertreten, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren und begründete diesen auf 23 Seiten ausführlich. Dieser wurde als unzulässig aus formellen Gründen abgelehnt, ohne auf die Frage der rassistischen Diskriminierung einzugehen; ebenso eine Anhörungsrüge mit der Begründung, das Recht auf rechtliches Gehör sei nicht verletzt.

Mit Schriftsatz vom 15.12.2014 erhob ich Verfassungsbeschwerde zum Berliner Verfassungsgerichtshof, welche mit der Begründung verworfen wurde, es seien keine Grundrechte verletzt. Auch hier wurde nicht auf die Frage der rassistischen Diskriminierung eingegangen.

3. Im Gegensatz zum bisher erfolglosen Strafverfahren, wogegen sich die Beschwerde an den UN Ausschuss CERD richtet, hat das zivilrechtliche Verfahren gegen das Land Berlin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen unerlaubter Handlung inzwischen wenigstens einen ersten Teilerfolg erbracht: Das Landgericht Berlin hat in einem Feststellungsurteil das Land Berlin, vertreten durch den Innen-Senator, zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt. Die Parteien streiten allerdings weiter über die Höhe des unserer Ansicht nach viel zu geringen Schmerzensgeldes vor dem Berliner Kammergericht.

(Zum Hintergrund vgl. auch Eberhard Schultz, „Feindbild Islam und institutioneller Rassismus – Menschenrechtsarbeit in Zeiten von Migration und Anti-Terrorismus“ VSA-Verlag Hamburg 2018, S. 125 ff.)

www.menschenrechtsanwalt.de

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