Am 15.12.2016 habe ich namens und in Vollmacht des Herrn Ibrahim Abou Nagie und eines weiteren Betroffenen gegen die Verbotsverfügung (vom 25.10.2016) Klage erhoben und Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt und vorläufig begründet.
Bei der am 15.11.2016 öffentlichkeitswirksam durchgeführten Vollstreckung der Verbotsverfügung soll es sich um das zweitgrößte Verbotsverfahren des Bundesinnenministeriums nach dem Verbot des „Kalifatstaats“ aus dem Jahre 2001 handeln. Begleitet wurde der Einsatz von 570 Polizisten bei 64 Durchsuchungen von Meldungen, wonach „Sicherheitsbehörden radikal salafistischen Terrorwerbern in Deutschland einen neuen Schlag versetzt“ hätten, die „mit der Koranübersetzung in der Hand (werden) Hassbotschaften … und verfassungsfeindliche Ideologien verbreitet“.
Diese massive öffentliche Vorverurteilung kann die offensichtlichen Schwächen, Unterstellungen, Widersprüche und Unklarheiten der fünfzigseitigen Begründung der Verbotsverfügung nicht verdecken. Die Kläger haben sich in der Klageschrift vorläufig auf zwei Punkte konzentriert:
- Die in der Verfügung aufgeführten Personen bilden keinen Verein im Sinne des Vereinsrecht; die dazu erforderliche „Unterwerfung unter die organisierte Willensbildung“, kann dann nicht vorliegen, wenn eine Person sich mit anderen vereinigt, diese aber nur den Willen der Leitperson folgen, ohne jemals an der Willensbildung beteiligt sein zu können oder zu dürfen. Genau dieses Bild aber malt die Verbotsverfügung, wenn sie Herrn Abou Nagie als „Leiter, Führungsfigur, geistiger Mentor und zentraler Akteur“ mit „alleiniger Steuerungsgewalt“
Erst recht liege die behauptete Verfas-sungsfeindlichkeit und der Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung nicht vor – geschweige denn dass die Kläger hierbei jeweils mit einer aggressiv-kämpferischen Grundhaltung vorgingen. Vielmehr handelt es sich um Aktivitäten zur Verbreitung des Korans und dessen Auslegung durch Koranübersetzungen in Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Religionsfreiheit, die auch das Recht umfasst, für die Religion zu werben (Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts: BverfGE 12,1 [3f.]), das durch die Verbotsverfügung verletzt ist. Die Begründung der Verbotsverfügung verletzt weitere Grund- und Menschenrechte der Kläger und ist als religiös konnotierte rassistische Diskriminierung im Sinne des UN-Abkommens gegen rassistische Diskriminierung (CERD) zu bewerten.
Die Kläger betonen: Es geht ihnen bei den Aktivitäten der Infostände mit der Verteilung des Korans lediglich darum, den Inhalt ihrer Religion anhand des Originaltextes zu verdeutlichen und auf Nachfrage zu erläutern und hierüber auch mit anderen Religionsanhängern einen Dialog durchzuführen und damit auch in einer breiteren Öffentlichkeit Vorurteile gegen angebliche „Extremisten, Salafisten, Islamisten“ zu widerlegen. Der Kläger zu 1) hat öffentlich mehrfach betont, dass er sich als „Muslim“ und keinesfalls als „Salafist“ bekenne.
Schließlich wird das in der Verbotsverfügung herangezogene wissenschaftlich unhaltbare Konstrukt eines „dschihadistischen Salafismus“ zurückgewiesen und die an die Konstruktion der „Kontaktschuld“ der 1950er Jahre erinnernde Behauptung, bei DWR handle es sich um ein „Sammelbecken“ zur Rekrutierung von salafistischen Dschihadisten.“ Tatsächlich haben sich die Kläger von Gewalt und Terror auch öffentlich distanziert und können nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn möglicherweise andere versuchen, an den Infoständen Interessierte für ihre Zwecke zu werben, ohne dass die Kläger davon Kenntnis haben und das unterstützen.
Eine weitere Begründung der Klage erfolgt nach Akteneinsicht in die umfangreichen Verwaltungsakten. Mit einer Entscheidung ist nicht mehr in diesem Jahr zu rechnen.