Merkt denn niemand etwas?

Den „Tod eines Staatsfeindes“ verkündet in großer Aufmachung die sich gern
als linksliberal bezeichnende Frankfurter Rundschau und widmet dem „Thema
des Tages“ in der Wochenendausgabe vom 8./9.08 gleich mehrere Seiten. „Wurde
die Liebe ihm zum Verhängnis?“ fragen sich Karl Grobe und Kollegen im
Hauptartikel zum Tode des „Top-Terroristen“ Baitullah Mehsud, der sich im
Zimmer seiner zweiten Frau befunden haben soll, als die Drohne (unbemannter
Flugkörper) mit einer ferngesteuerten Bombe Marke „Hellfire“ (Höllenfeuer)
einschlug und mit dem Paar „sechs Leibwächter“ tötete. Die in Radiomeldungen
vom Vortage genannten beiden ebenfalls getöteten Kinder finden hier keine Erwähnung.

Berichtet wird auch über frühere Drohnenangriffe im Juni gegen den „Top-
Terroristen“ in einem Taliban-Versteck. Beim anschließenden Begräbnis seien
„mit einem weiteren Drohnen-Angriff 45 Taliban“ getötet worden. Der Bericht
wird ergänzt durch einen Artikel des USA-Korrespondenten Dietmar Ostermann
mit dem Titel „Dringend benötigter Drohnen-Treffer“: „Der in diesem Jahr deutlich
gesteigerte Drohnen-Einsatz“ habe „bisher wenig Erfolge gebracht“, derweil
doch Obama für seine „neue Strategie“ dringend Erfolge brauche.

So und ähnlich sehen die Siegesmeldungen deutscher Massenmedien im siebten
Jahr des „internationalen Krieges gegen den Terrorismus“ aus. Als einziger
Wermutstropfen wird den Leserinnen und Lesern die Sorge von Experten übermittelt, daß „der Staatsfeind“ problemlos Nachfolger finde, deshalb werde der
neue Afghanistan-Kommandant sicher bald „frische Truppen“ anfordern. Mit
keinem Wort stellen die Autoren der ausführlichen Artikel die Art dieser Anschläge,
die „neue Strategie“, in Frage. Dabei müßte gerade den linksliberalen
Journalisten bestens bekannt sein, daß es sich um schwerste Kriegsverbrechen
oder schlicht Massenmord handelt: Denn derartige Angriffe auf Terrorismus-
Verdächtige sind selbst im Krieg verboten, weil damit zwangsläufig Unbeteiligte,
Nicht-Kombattanten gefährdet werden. Da aber die USA den Taliban in Pakistan
nicht offiziell den Krieg erklärt haben und das auch gar nicht können,
müßten sie versuchen, des mutmaßlichen Kriminellen mithilfe eines internationalen
Haftbefehls und eines Auslieferungsverfahrens habhaft zu werden. So
sieht es jedenfalls das Völkerrecht vor, das militärische Angriffe gegen Nicht-
Kombattanten verbietet.

Linksliberale Journalisten wissen das. Gerade sie haben seinerzeit die Wahl
Obamas und seine ersten Ankündigungen bejubelt, weil endlich das Folterverbot
und das Völkerrecht wieder zur Geltung kommen würden, auch und besonders
im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Das können sie kaum vergessen
haben. Wenn sie jetzt dennoch solche Siegesmeldungen von der Front am
Hindukusch verbreiten, wo bekanntlich unsere Freiheit verteidigt wird, bleiben
die Fragen: Merkt denn niemand etwas? Sind alle dem strahlenden Lächeln des
„Yes we can!“ erlegen? Und wird hier die zukünftige Kriegsberichterstattung
vorbereitet?

Wie wohltuend demgegenüber die Ausführungen des erzkonservativen Peter
Scholl-Latour im Fernsehen, der dazu auffordert, endlich aufzuhören, die
Selbstmordanschläge „feige“ zu nennen (feige seien doch allenfalls die Drohnenangriffe) und endlich auch mit den Taliban einen Dialog zu beginnen, weil
der Krieg am Hindukusch nicht zu gewinnen sei und dort nicht unsere Freiheit
verteidigt werde…

Eberhard Schultz
Beitrag für die Zeitschrift “Ossietzky” vom 30.07.2010

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