– Ankündigung: Informationsveranstaltung am 12.10.2017: Wie deutsche Sicherheitsbehörden die Folterpraxis marokkanischer Gefängnisse unterstützen: Der Fall des Deutsch-Marokkaners Mohamed Hajib

Zeit: Donnerstag 12.10.2017, 11:00 h, Ort: Humboldt Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, Raum 2070a

Auf der von der Internationalen Liga für Menschenrechte, dem akj-Berlin (Arbeitskreis kritischer Jurist*innen an der Humboldt-Universität) und Reachout/KOP unterstützten Veranstaltung wird der 1981 geborene Mohamed Hajib, deutscher und marokkanischer Staatsangehöriger über seine sieben Jahre lange Haft in marokkanischen Gefängnissen berichten. Mit Mühe konnte seinerzeit verhindert werden, dass ihm die deutsche Staatsbürgerschaft entzo-gen wird. Vor einem halben Jahr konnte er endlich nach Deutschland zurückkehren. Inzwischen hat er sich in psychiatrische Behandlung wegen der schweren Traumatisierung begeben.

Außerdem wird über den Stand des Verfahrens auf Entschädigung berichtet, mit dem wir Schadensersatz und Schmerzensgeld von deutschen Behörden verlangen. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass er seinerzeit von Pakistan kommend nach Marokko weitergeflogen ist und die dortigen Sicherheitsbehörden von seiner Ankunft unterrichtet wurden. Dort angekommen, wurde er zunächst auf einer Polizeistation schwer gefoltert und gezwungen ein „Geständnis“ zu unterschreiben, auf dessen Grundlage er zu zehn Jahren Freiheitsstrafe wegen „Terrorismus“ verurteilt wurde.

Trotz dieser, den zuständigen Behörden bekannten Umstände wurde er nach seiner Rückkehr 2017 nach Deutschland in den letzten Monaten bei jedem Flug zu seiner Familie nach Irland von Sicherheitskräften am Flughafen verhört und schikaniert – „aufgrund verschiedener Behördenzeug-nisse“, wie es in einer Stellungnahme der Bundespolizeidirektion heißt, so dass wir auch insoweit anwaltlich tätig werden mussten.

Der Fall verdient auch besondere Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatte um Marokko und andere nordafrikanischen Länder, die als sichere Herkunftsländer für abzuschiebende Ausländer gelten sollen. Herr Hajib appelliert an die Verantwortlichen und die engagierten Menschen in Deutschland, ihn zu unterstützen – stellvertretend für viele andere, die Misshandlungen und Folter ausgesetzt sind.

Zur Teilnahme eingeladen sind auch Vertreter*innen politischer Parteien und Menschenorganisationen.

 

Zum Hintergrund in Stichworten:

Herr Mohamed Hajib war nach seiner Einreise in Frankfurt am Main am 17.02.2010, aus Pakistan kommend (wo er nach den Beschuldigungen der marokkanischen Behörden „terroristische Aktivitäten“ durchgeführt haben soll), von Beamten des hessischen Landeskriminalamtes ausführlich befragt und dann entgegen seinem Wunsch, auf dem Weg zu seiner Familie, die sich in Irland aufhielt, zunächst Verwandte in den Niederlanden zu besuchen, zu einer Weiterreise nach Marokko gedrängt worden. Dort wurde er bei der Ankunft festgenommen und wenig später in Polizeihaft schwer gefoltert.

Auf parlamentarische Anfragen hat die deutsche Regierung bestätigt, dass den marokkanischen Behörden am 17.02.2010 vom BKA über die Weiterreise nach Marokko „im Rahmen des auch auf Gegenseitigkeit beruhenden polizeilichen Informationsaustausches“ berichtet worden sei, obwohl er sich nach „deutschem Recht nicht strafbar gemacht habe und er kein Beschuldigter eines Strafverfahrens in Deutschland sei“.

 Den Eltern von Mohamed Hajib wurden vom deutschen Konsulat ein Brief aus Pakistan gezeigt, wonach sich ihr Sohn in Pakistan – wo er einige Monate wegen illegaler Einreise inhaftiert war – nicht weiter strafbar gemacht habe. Alle Versuche, dieses Schreiben, das für ein Wiederaufnahmeverfahren in Marokko mit dem Ziel des Freispruchs von entscheidender Bedeutung gewesen wäre, zu erhalten, hat das Auswärtige Amt ebenso zurückgewiesen, wie eine Akteneinsicht in die dort geführten Akten über die konsularische Betreuung usw. Zur Begründung wird angeführt, die Vorgänge seien geheimhaltungsbedürftig, „Teile der konsularischen Betreuung des Antragstellers, deren Freigabe erhebliche nachteilhafte Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen mit Marokko oder Pakistan zur Folge hätte, weil sie die die zwischenstaatlichen Verhältnisse als vertraulich behandelte Kommunikation zwischen deutschen und ausländischen Behörden offen legen würde“.

 Dabei hatte der Fall längst ganz andere internationale Dimensionen erreicht. In Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen aufgrund einer Stellungnahme des Menschenrechtsrates vom 31.08.2012 heißt es am Schluss der umfangreichen Begründung:

„Die Verhaftung von Herrn Mohamed Hajib ist willkürlich, sie verletzt die Artikel 5,9,10 und 11 der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Artikel 7, 9 und 14 des Internationalen Paktes zu den bürgerlichen und politischen Rechten. Seine Verhaftung erfüllt die Kategorie III der willkürlichen Verhaftung…

Deswegen ersucht die Arbeitsgruppe die Regierung von Marokko, die unmittelbare Freilassung von Herrn Hajib zu veranlassen und ihm eine angemessene Entschädigung nach Maßgabe des Artikel 9 Abs. 5 des Internationalen Paktes zu den bürgerlichen und politischen Rechten zu zusprechen.“

 Zu einer offiziellen Intervention auf höchster Ebene (wie etwa im Fall Timoschenko) hat sich die Bundesregierung aber dennoch nicht bewegen lassen. Im Gegenteil: das Bundesverwaltungsamt hat nach seiner Verhaftung in Marokko ein umfangreiches Verwaltungsverfahren eingeleitet mit dem Ziel, ihn auszubürgern, also ihm die die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, obwohl diese wenigstens in Marokko einen gewissen Schutz gewährt haben dürfte. In der Begründung wurde angeführt, dass er bei seiner Einbürgerung verschwiegen habe, dass er Funktionär der islamistischen terroristischen Organisation namens „Tablighi Jamaat“ sei. Als ich in dem Verwaltungsverfahren durch Vorlage von Sachverständigengutachten aus den USA nachweisen konnte, dass diese islamische Vereinigung (der auch der langjährige Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz angehört hatte) eine unpolitische, keineswegs terroristische Organisation ist, bequemte sich das Bundesverwaltungsamt die Ausbürgerung nicht weiter zu betreiben offiziell mit Rücksicht auf die deutsche Staatsangehörigkeit eines der drei Kinder von Mohamed Hajib (die natürlich auch schon zum Zeitpunkt der Einleitung des Ausbürgerungsverfahrens hätten berücksichtigt werden können und müssen).

Nach seiner Rückkehr seit März 2017 wird er nicht nur bei jedem innereuropäischen Flug zu seiner Familie nach Irland erneut umfangreich verhört und schikaniert, sondern er erhielt vom Polizeipräsidium Düsseldorf eine Verbotsverfügung. darin wurde ihm verboten, vom 29.06.2017 bis zum 02.07.2017 bestimmte Gebiete in NRW (Auftakt der „Tour de France“) aufzusuchen, weil er der „radikalen gewaltbereiten salafistischen Szene zugehört“ und Straftaten begehen werde. Dies, obwohl es hierfür nicht den geringsten Anhaltspunkt – geschweige denn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gibt – und die Behörden wissen mussten, dass er in der fraglichen Zeit wieder eine Reise zu seiner Familie in Irland antreten würde. Deswegen ist ein Verfahren beim Verwaltungsgericht Düsseldorf anhängig.

Im September 2017 haben wir die Innenministerien des Bundes, des Landes Hessen und Nordrhein Westfalens zunächst außergerichtlich auf Entschädigung und Schmerzensgeld in Anspruch genommen. Herr Hajib hat hierzu erklärt: „Niemand kann mir und meiner Familie die verlorenen sieben Jahre meines Lebens wiedergeben, aber ich will alles dafür tun, von Marokko eine Haftentschädigung zu erhalten und gehe davon aus, dass sich auch Deutschland seiner Mitverantwortung stellt“

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