Kritik an Polizeieinsatz als rassistisch = Beleidigung?

PRESSEMITTEILUNG
Hauptverhandlung im Kriminalgericht Moabit am 18.5.2011: Kritik an Polizeieinsatz als rassistisch = strafbare Beleidigung?

Am Mittwoch, den 18.5.2011, steht der 47-jährige Berliner Brian J. vor dem Amtsgericht Tiergarten, weil er gegen einen Strafbefehl über 20 Tagessätze wegen Beleidigung von Polizeibeamten Einspruch eingelegt hat. Meinem Mandanten, der unter anderem in dem demokratischen „Bündnis Mitte gegen Rechts“ mitarbeitet, wird vorgeworfen, die Polizeibeamten als »Rassisten« bezeichnet zu haben, als diese im Herbst letzten Jahres im U-Bahnhof Pankstraße, wo sich mehrere Dutzend (weiße) Personen aufhielten, gezielt nur zwei schwarze Frauen kontrollierten.

Bemerkenswert ist, dass die Polizeibeamten bei ihrer Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren darauf bestanden, dass eine Verurteilung meines Mandanten wegen Beleidigung in der Presse veröffentlicht werden sollte. Nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen ist eine derartige Beleidigungsanzeige von Polizeibeamten in Berlin kein Einzelfall. Offenbar soll versucht werden, Kritik an staatlichem Handeln zu kriminalisieren, obwohl sie ein Grundelement der freiheitlichen Demokratie sein sollte.

Die Verteidigung geht davon aus, dass die Beweisaufnahme ergeben wird: Der Vorwurf einer persönlichen Beleidigung wird sich nicht aufrechterhalten lassen und die Presse wird über ein freisprechendes Urteil berichten können. Denn die Kritik an einem derartigen Polizeieinsatz als »rassistisch« ist wissenschaftlich nicht zu beanstanden und vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. Hierzu habe ich Beweisanträge zur Einholung von Sachverständigengutachten vorbereitet. Rassismus ist entgegen der landläufigen Meinung keineswegs nur rechtsradikales und neonazistisches Gedankengut und Handeln, sondern auch die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe oder ähnlicher Merkmale, wie sie verstärkt in der Mitte der Gesellschaft und bei staatlichem Handeln festzustellen ist. Das Vorgehen der Polizei verstößt gegen den Gleichstellungsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot, das inzwischen in einer Reihe internationaler Menschenrechtspakte verankert ist.

Die Verhandlung ist öffentlich.

Ort und Zeit: Amtsgericht Tiergarten, Kirchstraße 6, Saal 1002, Mittwoch, den 18.5.2011 Beginn: 11:45 Uhr

Berlin den 15.5.2011

H.-Eberhard Schultz

Pressemitteilung vom 15.05.2011


In der Hauptverhandlung unter großem Interesse der Öffentlichkeit (die mehr als dreißig ZuhörerInnen fanden nicht alle Sitzplätze) hat der Mandant sich dahingehend eingelassen, daß er die Polizeiaktion als „Rassismus“ kritisiert hat, die Polizisten aber nicht persönlich beleidigen wollte; und bekräftigte dies als seine verfassungsrechtlich geschützte Meinung, was von den ZuhörerInnen mit Beifall bedacht wurde. Ein als Zeuge vernommener Polizist sagte demgegenüber aus, es habe sich um eine aggressive persönliche Beleidigung gehandelt, wie sie immer wieder vorkomme, was er als unverschämt empfinde; obwohl sie doch nur die statistisch festgestellt hohe Kriminalität von Menschen „mit Migrationshintergrund“ bekämpften. Die Frage der Verteidigung, ob ihm die Statistik über die sehr viel höhere Opferzahl von MigrantInnen z. T. mit Todesfolge bekannt sei, verneinte er; die Frage ob ihm das Problem des strukturellen Rassismus, wie es in gezielten Kontrollen und Razzien gegen Nicht-Weiße ohne Verdacht zum Ausdruck kommt, bekannt sei, wollte er nicht antworten, die Staatsanwältin beanstandete die Frage als „nicht zur Sache gehörig“. Daraufhin unterbrach die Vorsitzende Richterin die Hauptverhandlung und bat um ein „Rechtsgespräch“ unter den JuristInnen.

Eine Viertelstunde später verkündete sie dann das auch vom Mandanten akzeptierte (und mit der Polizeiführung als Dienstherr der anzeigenden Polizisten und von der Staatsanwältin mit der Abteilungsleiterin abgestimmte) Ergebnis:
– das Verfahren wird nach § 153 StPO eingestellt (d. h. ohne jede Schuldfeststellung), die Kosten des Verfahrens und die Hälfte der notwendigen Auslagen (d. h. insbesondere der Verteidigerkosten) trägt die Staatskasse.

Artikel im Neuen Deutschland vom 19.05.2011

Artikel in der taz vom 19.05.20111

Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt

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