Pressemitteilung vom 24.02.2014
Während das Landgericht Berlin in der schriftlichen Urteilsbegründung die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Bundestagsabgeordneten Azize Tank (Fraktion die LINKE) gegenüber dem „Heimführungsbeauftragten“ der NPD bekräftigt, hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin die Beschwerde im Strafverfahren gegen die Mitglieder des NPD Landesvorstandes gegen die Einstellung des Verfahrens zurückgewiesen, weil die Aufforderung zur „freiwilligen Ausreise“ vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Dagegen richtet sich der soeben eingereichte Antrag an das Kammergericht im Klageerzwingungsverfahren.
Der Brief des NPD „Heimführungsbeauftragten“ an die frühere Wahlkandidatin Azize Tank beschäftigt die Berliner Justiz im neuen Jahr (die Medien berichteten vgl. auch meine früheren Pressemitteilungen). Die schriftliche Begründung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 21.01.2014 liegt inzwischen vor. Darin wird ausgeführt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragsstellerin das Recht des Antragsgegners der Meinungsfreiheit überwiegt: Der Brief des „Heimführungsbeauftragten“ der NPD könne dahingehend verstanden werden, dass die damalige Wahlkandidatin persönlich zur Ausreise aus Deutschland aufgefordert wird; dafür spreche schon die persönliche Adressierung, die Überschrift „Heimwandern, statt Einwandern“, sowie der Hinweis auf das beigefügte Rückflugticket in der Internetveröffentlichung, ebenso das Ansinnen einer „freiwilligen Ausreise“, um nicht „transportiert (zu) werden … Der Antragstellerin wird das Recht abgesprochen, in Deutschland zu leben und sich politisch zu betätigen, obwohl sie, wie der Antragsgegner weiß, Deutsche ist und die gleichen staatsbürgerlichen Pflichten und Rechte wie er selbst genießt und nicht an das Ausland ausgeliefert werden darf … Zugleich wird ihr unverhohlen mit Gewalt gedroht, falls Sie Deutschland nicht verlässt. Es geht hiermit somit nicht um eine bloße politische Forderung, sondern um ein Angriff des Lebensrecht der Antragstellerin in der Gemeinschaft und somit den Kern ihrer Persönlichkeit“.
Dem gegenüber hat die Generalstaatsanwaltschaft mit Bescheid vom 20.01.2014 entschieden, sie sehe sich nach Prüfung des Sachverhalts nicht in der Lage, entgegen dem angefochtenen Bescheid der Staatsanwaltschaft anzuordnen, dass Ermittlungen angestellt werden. Die Begründung stützt sich im Wesentlichen auf ein früheres Urteil des Kammergerichts, wonach nach ähnlichen Äußerungen im Rahmen des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2009 in einem Flugblatt zur „Ausländerrückführung“ nicht strafbar, sondern von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt unterscheide sich lediglich in einzelnen Formulierungen: „Das damals – wie heute – in den auch nach Ansicht das Strafsenats fraglich ausländerfeindlichen Äußerungen nicht zwischen Ausländern und deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund unterschieden wird, dürfte als Teil der perfiden Strategie der Verfasser angesehen werden können, bei der auch davon ausgegangen werden kann, dass diese die entsprechende Rechtsprechung zu § 130 Abs. 1 SGB ausgewertet haben, um sich gleichsam an die Grenze als strafbar zu wertender Äußerungen „Heranzutastend“ mit dem Ziel, auf diese Weise Aufmerksamkeit im Wahlkampf zu erreichen“
Daran könne auch die Entscheidung des UNAusschusses gegen Rassendiskriminierung (Cerd) nichts ändern: „Die – ohnehin nicht einstimmige … Entscheidung des UN-Ausschusses, die auch in der Literatur ungeachtet der Bewertung des „rassistischen Gehalts“ der Ausführungen Thilo Sarrazins aufgrund der unzureichenden Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit und des Herausgreifens einiger Zitate aus dem Zusammenhang der Äußerung auf deutliche Kritik gestoßen ist … hat letztlich auch der Bundesregierung keine Veranlassung gegeben, eine Änderung der fundiert und ausführlich begründeten Entscheidung der nationalen Strafverfolgungsbehörden zu indizieren“.Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, den Straftatbestand der Volksverhetzung zu ändern.
Diese Begründung ist aus mehreren Gründen abwegig:
– Es gab nur eine einzige abweichende Meinung des gesamten Richterkollegiums. Die angeführte „deutliche Kritik“ berücksichtigt nicht die ständige Rechtsprechung des UNAntirassismusausschusses, geschweige denn die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der in einem vergleichbaren Fall die Entscheidung belgischer Strafgerichte gegenüber rassistischer Äußerungen (sogar eines Parlamentsabgeordneten) bestätigt hatte, weil die Meinungsfreiheit nicht genutzt werden darf, um rassistische Diskriminierungen verbreiten;
– Die Bundesregierung hat den Ausschuss entgegen dem Eindruck, den die Generalstaatsanwaltschaft erweckte, mitgeteilt, dass sie die Empfehlungen des Ausschusses umsetze – womit auch ansatzweise begonnen wurde, wenn auch intern Kritik geäußert wurde, – dies sei im Wesentlichen Aufgabe der Bundesländer;
– Die Generalstaatsanwaltschaft ist mit keinem Wort auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles eingegangen, auf die das Landgericht sein positives Urteil gestützt hat.
In dem beim Kammergericht eingereichten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird umfassend (26 Seiten) begründet, warum die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft unhaltbar und die öffentliche Klage gegen den NPD- „Heimführungsbeauftragten“ und andere Mitglieder des NPD-Landesvorstandes zu erheben ist. Sollte das Kammergericht seine überholte Rechtsprechung zugunsten der NPD fortsetzen, könnte eine Verfassungsbeschwerde eingelegt und notfalls der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte oder der UNAntirassismusausschuss auch in dieser Sache angerufen werden.
Die Bundestagsabgeordnete Azize Tank erklärt: „So sehr ich das Urteil des Landgerichts begrüße, so sehr ist die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft zu kritisieren. Dass jetzt der rassistische Charakter des Briefes anerkannt wird, macht es nicht besser, weil diese rassistische Diskriminierung und Bedrohung jetzt durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein soll. Ich rufe weiter dazu auf, den Kampf gegen rassistische Diskriminierungen auf politischer und juristischer Ebene fortzusetzen, damit auch die Berliner Strafjustiz endlich die Entscheidungen der UN und des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte umsetzt!“
Dass die Bedrohung real ist, zeigt der Fall des Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin, Hakan Tas (Fraktion die LINKE): Trotz Auskunftssperre war er wenige Tage vor der Wahl 2013 Opfer eines Anschlages. Unbekannte durchstachen die Reifen seines Pkw, die Eingangstür und der Briefkasten seiner Wohnung wurden in einem Mehrfamilienhaus mit Morddrohungen und rassistischen Parolen beschmiert. Nach einigen Ermittlungen hat die Polizei, Staatsschutzabteilung, jetzt vorgeschlagen, das Verfahren einzustellen; es wurden zwar einige Bewohner befragt, die keine näheren Angaben machen konnten, andere Hausbewohner, die bei dem ersten Versuch nicht angetroffen wurden, wurden jedoch nicht erneut aufgesucht. Hierzu erklärt Hakan Tas: „Politiker mit Migrationshintergrund von unterschiedlichen Parteien werden nach wie vor von den Neonazis bedroht und eingeschüchtert. Die Berliner Ermittlungsbehörden scheinen nicht bereit oder nicht in der Lage zu sein, hiergegen konsequent vorzugehen“
Berlin den 24. Februar 2014