Bahnbrechende Entscheidung des „UN – Antirassismus Ausschuss“

Der UN-Antirassismus-Ausschuss Cerd kommt hinsichtlich der Beschwerde wegen der Nichtdurchführung eines Strafverfahrens gegen Thilo Sarrazin in seiner Entscheidung vom 04.04.2013 in Sachen Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg e.V. (TBB) Sarrazin gegen Deutschland zu dem Schluss:

„dass das Versäumnis einer effektiven Untersuchung … durch den Vertragstaat (D.I.) … eine Verletzung der Konvention (d.i. internationales Übereinkommen. vom 21.12.1965/07.03.1966 zur  Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt 1969 II, 961- d. Verf.) darstellt.“

Die Strafanzeige des TBB war aufgrund von Sarrazins Äußerungen in der Zeitschrift „Lettre International“ gestellt worden. Der Ausschuss verlangt (erg.: von der Bundesrepublik Deutschland – d. Verf.) innerhalb von 90 Tagen vom Vertragsstaat über die Maßnahmen informiert zu werden, die er unternimmt, um die Entscheidung des Ausschusses umzusetzen.

In der Entscheidung des UN-Ausschusses gegen Rassendiskriminierung heißt es u.a.: „Der  Ausschuss  verweist  auf  seine  frühere  Rechtsprechung38, laut  welcher es im Sinne des Artikels 4 der Konvention nicht ausreichend ist, Akte der Rassendiskriminierung lediglich auf dem Papier als strafbar zu erklären. Vielmehr müssen Strafgesetze und andere gesetzliche Bestimmungen, die Rassendiskriminierung verbieten, effektiv von zuständigen  nationalen Gerichten und anderen Staatsinstitutionen umgesetzt werden.“ (…)

 Der Ausschuss hat den Inhalt der Äußerungen Herrn Sarrazins in Bezug auf die türkische Bevölkerung Berlins zur Kenntnis genommen und stellt insbesondere fest, dass Herr Sarrazin äußert,  dass ein Großteil der türkischen Bevölkerung keine produktive Funktion außer dem Obst- und Gemüsehandel erfülle, dass sie weder in der Lage noch dazu bereit sei, sich in die deutsche  Gesellschaft zu integrieren und dass sie eine kollektive, angestammte, aggressive Mentalität fördere. Herr Sarrazin benutzt Attribute wie Produktivität, Intelligenz und Integration, um die türkische Bevölkerung und andere Migrant/-innengruppen zu charakterisieren“ (…)

Herr Sarrazin führt aus, dass er niemanden, der vom Staat lebe und gleichzeitig eben diesen Staat ablehne, akzeptieren müsse, noch jemanden, der sich in keiner Weise bemühe, seine Kinder zu erziehen und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziere, was auf 70% der türkischen Bevölkerung zutreffe. Herr Sarrazin kreiert auch eine Rechtfertigung, um seine Auffassungen von der Unterlegenheit der türkischen Bevölkerung zu begründen und erklärt, man könne in anderen Segmenten der Bevölkerung, inklusive der Deutschen, „ein ‚türkisches‘ Problem erkennen.“ Er gibt außerdem an, dass er generell die Zuwanderung von Migrant/-innen verbieten würde, außer im  Falle hochqualifizierter  Individuen, und dass er aufhören würde, Immigrant/-innen Sozialleistungen zur Verfügung zu stellen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die oben genannten Äußerungen Vorstellungen rassischer Überlegenheit im Sinne von Artikel 4  der Konvention enthalten, namentlich die Verweigerung von Respekt als Menschen, eine generalisierende negative Darstellung der  Eigenschaften der türkischen Bevölkerung sowie eine Aufstachelung zur Rassendiskriminierung, um ihr den Zugang zu Sozialleistungen zu verwehren, sowie die Empfehlung eines generellen Verbots von Einwanderung mit der Ausnahme hochqualifizierter Individuen. (…)

 Der Ausschuss verweist auf seine Rechtsprechung und erinnert daran, dass die Ausübung der Meinungsfreiheit spezielle Aufgaben und Verantwortlichkeiten mit sich bringt, insbesondere die Verpflichtung, kein rassistisches Gedankengut zu verbreiten.40

 Er stellt außerdem fest, dass Artikel 4 der Konvention die Verantwortung des Vertragsstaats kodifiziert, die Bevölkerung gegen Aufstachelung zum Rassenhass, aber auch gegen Formen rassistischer Diskriminierung durch die  Verbreitung jeglicher Auffassungen, die auf einem Gefühl der rassischen Überlegenheit oder Rassenhass beruhen, zu schützen.41

Während der Ausschuss die Wichtigkeit der freien Meinungsäußerung anerkennt, urteilt er, dass Herrn Sarrazins Äußerungen eine Verbreitung von Auffassungen, die auf einem Gefühl rassischer Überlegenheit oder Rassenhass beruhen, darstellen und Elemente der Aufstachelung zur Rassendiskriminierung entsprechend Artikel 4, Paragraf (a), der Konvention enthalten. Indem er sich darauf konzentriert hat, dass Herrn Sarrazins Äußerungen nicht einer Aufstachelung zum Rassenhass gleichkamen und nicht den öffentlichen Frieden stören konnten, hat der Vertragsstaat seine Pflicht versäumt, effektiv zu untersuchen, ob Herrn Sarrazins Äußerungen der Verbreitung von Auffassungen gleichkamen, die  auf einem Gefühl der rassischen Überlegenheit oder Rassenhass beruhen. Der Ausschuss stellt außerdem fest, dass das Kriterium der Störung des öffentlichen Friedens, das zur Evaluierung der Frage herangezogen wurde, ob die Äußerungen  die  Schwelle  der Verbreitung von Auffassungen erreichen, die auf einem Gefühl der rassischen Überlegenheit oder  Rassenhass  beruhen,  die  Verpflichtung  des  Vertragsstaates  unter  Artikel  2,  Paragraf  1 (d), nicht hinreichend in die nationale Gesetzgebung übersetzt wurde, insbesondere, da weder Artikel 2, Paragraf 1 (d), noch Artikel 4 ein solches Kriterium enthalten.

In einer ersten Pressemitteilung hat das Deutsche Institut für Menschenrechte hierzu mitgeteilt: „Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, erklärt: „Der Ausschuss hat klargestellt, dass Deutschland seinen menschenrechtlichen Schutzpflichten aus der Antirassismus-Konvention nicht nachgekommen ist. In dem Ermittlungsverfahren gegen Sarrazin sei nicht ausreichend der Frage nachgegangen worden, ob seine Äußerungen rassistisches Gedankengut beinhalteten. Damit habe Deutschland seine menschenrechtliche Verpflichtung zu effektivem Rechtsschutz gegen rassistische Äußerungen verletzt. Der Ausschuss hat unter Hinweis auf seine bestehende Spruchpraxis hervorgehoben, dass die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung Grenzen hat. Zu diesen Grenzen gehört insbesondere die Verbreitung rassistischen Gedankenguts.

Der Ausschuss hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die Aussagen Sarrazins in dem Interview rassistisch waren. Überdies hätten sie nach der Anti-Rassismus–Konvention auch sanktioniert werden müssen. Der Ausschuss ist insbesondere zu der Auffassung gelangt, dass die Aussagen Sarrazins rassistisches Gedankengut beinhalten, die den Betroffenen ihren Achtungsanspruch als Menschen absprechen und ihnen in verallgemeinernder Weise negative Eigenschaften zuschreiben.

Die Entscheidung des Ausschusses hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung: Gesetzeslage und Praxis im Bereich der Strafverfolgung von rassistischen Äußerungen sind im Lichte der Entscheidung auf den Prüfstand zu stellen, um die von solchen Äußerungen unmittelbar Betroffenen wirksam zu schützen und die Menschenwürde als Grundlage unseres Gemeinwesens zu verteidigen.“

Damit dürfte endgültig feststehen, dass rassistische Äußerungen von Politiker, wie Sarrazins, Buschkowskys, rechtspopulistischer Bewegungen wie Pro Deutschland und der so genannten „Islamkritiker“ nicht als Meinungsäußerung hingenommen werden müssen, sondern strafbar sind, und zwar insbesondere als Volksverhetzung und Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung.

Dem entgegenstehende Entscheidungen der Staatsanwaltschaften und/oder Gerichten bis hin zu dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind daher auf den Prüfstand zu stellen.

–          Es ist zu prüfen, ob die alten Strafverfahren wieder aufgegriffen werden können. Ein so genannter Strafklageverbrauch tritt durch die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht ein. Ein Vertrauensschutz auf den Stand der Einstellungsverfügung besteht ebenfalls nicht, so dass das Verfahren mit Verweis auf die nunmehr klargestellte Rechtslage durch den UN-Ausschuss wieder aufzunehmen ist. Denn – so der gängige Handkommentar zur StPO – „die Ermittlungen sollten wieder aufgenommen werden, wenn genügend Anlass dafür besteht“.

–          Darüber hinaus kann und sollte eine Entscheidung des UN-Ausschusses herbeigeführt werden, wenn die Verfahren vor den Nationalen Instanzen abgeschlossen sind. Hierfür gibt es eine Frist von sechs Monaten.

–          Wenn internationale Gerichte bereits negativ entschieden haben, ist eine Beschwerde an den Ausschuss nicht möglich, es sei denn, die Beschwerde wurde wegen Unzulässigkeit abgelehnt.

Die Kommentare sind geschlossen.