Nicht nur eine Frage religiöser Toleranz

Als Rechtsanwalt hatte ich in den vergangenen Jahren zunehmend das zweifelhafte Vergnügen, eine Reihe sogenannter Islamisten und Hassprediger vor Behörden und Gerichten zu vertreten. Zweifelhaft wegen der großen Schwierigkeit, ihnen zu ihren Rechten zu verhelfen, auch wenn im Ergebnis Ermittlungsverfahren u. a. wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in »terroristischen oder kriminellen Vereinigungen« eingestellt und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für Moscheevereine gerichtlich als rechtswidrig festgestellt wurde. All diesen Verfahren war gemeinsam, dass sie auf unhaltbaren geheimdienstlichen Angaben beruhten. Trotzdem ist es bisher nicht gelungen zu verhindern, dass betroffene Imame weiter ungestraft als »Hassprediger« bezeichnet werden dürfen.

Vereinsverbote stehen in der repressiven Tradition unserer staatlichen Obrigkeit, der nicht von ihr kontrollierte Organisationen verdächtig sind. Sie sind verfassungsrechtlich mehr als problematische Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit. Die Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes sollte eigentlich eine Hürde für Verbote salafistischer Vereinigungen darstellen. Tut sie offensichtlich aber nicht.

Die bei uns vorherrschende Einschätzung von Salafisten beruht auf einem Konstrukt von Verfassungsschutz und anderen Geheimdiensten, das wissenschaftlich unhaltbar und politisch gefährlich ist. Salafisten werden zwar nicht mehr pauschal als »Terroristen« gebrandmarkt, zumindest aber als Vorkämpfer »gewaltbereiter Dschihadisten« und »geistiger Nährboden« für »islamistischen Terrorismus« eingestuft.

Tatsächlich handelt es sich bei dem Salafismus nach Aussagen unabhängiger Experten weltweit um eine breite Strömung innerhalb des Islam, die sich den »ursprünglichen Werten« ihrer Religion verschrieben hat und überwiegend keinen Einfluss auf Politik und Staat nehmen will. Jedenfalls liegt es den (zahlenmäßig sehr wenigen) Salafisten bei uns fern, in Deutschland oder Europa einen »Gottesstaat« errichten zu wollen – was immer darunter in den verschiedenen Ländern islamischer Prägung verstanden wird.

In der Politik und den Massenmedien fungiert die gegenwärtige zum Teil hysterische Debatte über den Salafismus als Ablenkungsmanöver von der berechtigten Kritik an den deutschen Geheimdiensten: Ausgerechnet ihnen, denen eine Mitschuld an der rassistischen Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds nicht abgesprochen werden kann, soll das Märchen vom »Salafismus als neuem Hauptfeind der inneren Sicherheit« abgenommen werden? Obwohl ihnen außer zwei verletzten Polizisten keine weiteren Gewalttaten zugeschrieben werden – insgesamt also weniger als bei vielen Auseinandersetzungen am Rande von Fußballspielen.

Daneben wird das kostenlose Verteilen von Exemplaren des Korans angeprangert, wobei das Sicherheitsrisiko kaum größer sein dürfte als das beim Verteilen von Schriften der Zeugen Jehovas oder anderer Bibelmissionare. Begleitet wird das von reißerisch aufgemachten Fernseh-»Dokumentationen«, in denen sich Eltern darüber sorgen, dass ihre volljährigen Kinder durch »Salafisten-Moscheen« von ihnen entfremdet werden. Damit wird die Gefahr an die Wand gemalt, dass Jugendliche einer Gehirnwäsche unterzogen, im Nahen Osten zu Dschihadisten ausgebildet und als Terroristen zu uns zurückgeschickt werden. Das Ganze mündet dann in einer »Vermissten Kampagne« des Bundesinnenministeriums und Fragebögen für Eltern und Erzieherinnen, die an plumper Bauernfängerei kaum zu überbieten sind.

Pikant in dem Zusammenhang: Nach allgemeiner Ansicht wird eine angeblich besonders gewaltbereite Strömung der Salafisten, der »Wahabismus«, ausgerechnet von Saudi-Arabien aus finanziert. Einem islamischen Staat, der sich der Unterstützung des Westens und speziell der Bundesrepublik erfreut, wie die geplante Lieferung von mehreren hundert Leopardpanzern an das saudische Königshaus zeigt.

Das seit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 verstärkte allgemeine »Feindbild Islam« wird zunehmend ersetzt durch das neue »Feindbild Salafismus«, mit dem Individuen und Organisationen ausgegrenzt und ihrer Rechte beraubt werden. So wird antimuslimischer Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft und den Institutionen befördert.

Insofern ist es nicht nur eine Frage religiöser Toleranz, sondern eine Frage unserer Demokratie – unabhängig von der Rolle bestimmter Salafisten in arabischen Ländern -, für die Religionsfreiheit und die Erhaltung der Menschenrechte auch von »Islamisten« bei uns einzutreten. Deshalb lehne ich Verbote salafistischer Vereine ab.

erschienen im Neuen Deutschland vom 20.10.2012

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